Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
werde es besorgen, Herrin.«
10 .
Ägyptische Nacht
Naukratis, dreihundert Jahre zuvor von milesischen Händlern als Stapelplatz am westlichen Nilarm gegründet, war lange die einzige Stadt gewesen, in der Hellenen Waren anlanden und Handel treiben durften; ägyptische Zollverwalter erhoben ein Zehntel vom Warenwert als Einfuhrsteuer, die königlichen Beamten der Stadt ein Zehntel von den Umsätzen der Händler, Handwerker und sonstigen Gewerbetreibenden einschließlich der Dirnen, die zu Buchführung angehalten wurden. Daneben gab es im Lauf der Zeit von anderen Hellenen errichtete Tempel einzelner Götter, die von den Gläubigen (und den Heimatstädten) Geld verlangten; es gab das Hellenion, einen Gemeinschaftstempel als Gründung von acht hellenischen Städten; es gab den Stadtteil der Ägypter mit Tempeln für Amun und Thoth. Und es gab, wie überall am Wasser, den großen Hafen mit Schänken und Hallen und Läden und Menschen, denen die Götter weniger wichtig waren als die Leute und das Geld.
Als Dymas sechsundzwanzig wurde, im Jahr nach dem makedonisch-athenischen Frieden des Philokrates, kehrte er von Asien, wo er fast ein Jahr lang in den hellenischen Küstenstädten Musik gemacht und Gesänge gesungen hatte, nach Athen zurück. Im Sommer verließ er Hellas mit einem Handelsschiff, das Töpferwaren und Goldschmiedearbeiten nach Naukratis brachte. Er war des Landes und der Leute überdrüssig, und der ewigen Anwürfe ob seiner Vermengung der verschiedenen Tongeschlechter. Für ihn waren sie nichts als dies, eben verschiedene Möglichkeiten von Musik– nichts als andersartige Unterteilungen der Strecke, die zwischen einem Ton auf einer hohen und dem gleichen Ton auf einer tieferen Ebene lagen. Ob man diese Strecke in vier Töne unterteilte, in fünf, in acht, in elf, in dreiundzwanzig oder gar, wie manche, in einunddreißig, ob diese Unterteilungen sämtlich volle Töne waren oder Ton-Bruchteile, ob die Götter derlei billigten oder ob der eine oder andere Bewohner des Olymp sich durch bestimmte Töne und Tonverbindungen gekränkt fühlen könnte (und diese Kränkung durch Priestermund kundtat), war Dymas gleich. Für ihn waren die Töne Stoff, wie Holz für den Schnitzer oder Marmor für den Hauer. Stoff zur Verfertigung von Klangteppichen, zur Einkleidung von Träumen, zur Ausgestaltung von Albträumen, zur Verschränkung von Klängen und Worten. Es reizte ihn, etwa eine lichte, klare Melodie aus dem ionischen Tongefüge ins phrygische zu übertragen, wo sie fremd und ekstatisch wurde, oder ins lydische, was ihr eine tiefe und ebenso fremdartige Schwermut gab. Die einfachen Athener, die mit Genuß zuhören konnten, empörten sich jedoch, sobald ein vermeintlicher Kenner ihnen sagte, da seien hellenische und barbarische Klänge gemischt; dann forderten sie ihn auf, keinen fremdländischen Unfug zu spielen.
Die Hellenenstädte in Asien mit ihrer Mischbevölkerung waren da offener; derlei Gebote oder Vorschriften kümmerten sie nicht. In Ephesos hatte er ungeheuren Erfolg gehabt mit einem frechen Gesang in unregelmäßigen Hexametern und dreierlei Tongattungen. Das Lied, erzählt oder gesungen von Odysseus, berichtete eine mögliche Geschichte: Als der Held aufbrechen wollte, um mit den anderen gen Ilion zu ziehen, drohte ihm die an Lysistrate angelehnte Penelope damit, ihn künftig nicht mehr ins Bett zu lassen, wenn er in den Krieg zöge. Er zog dennoch– » wenn ich erst fern von ihr weile, kann mir ihr Beischlafverbot sowieso gleichgültig sein«. Dann stellte er jedoch fest, daß es bei dem Kriegszug nicht um Ruhm, Ehre, Beute, Rache oder Macht ging, sondern lediglich darum, einem betrogenen Schlappschwanz namens Menelaos die Frau wieder zu beschaffen, und Odysseus hielt es nicht für sinnvoll, daß Tausende stürben, nur um einem die Hörner abzuschleifen. Also kehrte er heim, durch die Unbilden des Geschicks und des Wetters mit jahrelanger Verzögerung; in Ithaka warf man ihn aus dem Palast, denn » drinnen waltet die züchtige Hausfrau, die schäbige Schiunze« mit ihren vierzig Räubern, die sie Freier nennt; und draußen, auf dem Meer, bläht sich das Segel des Prunkschiffs, auf dem Telemachos mit vielen Freunden und Gespielinnen den Rest des Vermögens verpraßt– » er macht die Nächte zum Tag und meine Tage zur Nacht«. So saß Odysseus unter den Eichen, würfelte mit dem schielenden Schweinehirt, stellte mit düsterer Befriedigung fest, daß jenes unverrückbare Bett, das er seinerzeit
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