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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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mit einem Sappho-Lied zur Kithara begonnen, als der schwermütige Mann, die Alte und die Junge eintraten. Die junge Frau war schlank und groß, mit tiefen Stammeskerben auf den Wangen, fast kahlem Schädel, dem Gang einer Gazelle und den Augen einer satten Löwin. Die Lippen wirkten eher von Küssen geschwollen denn wulstig; um den Hals trug sie an einer dünnen Goldkette einen menschlichen Unterkiefer, dessen Zähne an ihren hohen Brüsten nagten. Der Oberkörper war mit einem hellroten Tuch umwunden, um die Hüften lag ein hellgrünes, das Ende zwischen den Schenkeln nach vorn geführt und vor dem Nabel mit dem Anfang verschlungen.
    Die alte Frau war klein, zahnlos, ihr Gesicht eine Wüstenei aus Runzeln und einzelnen Barthaaren; und zwei kleinen, schwarzen, scharfen Augen. Sie trug ein bis auf die Füße fallendes Gewand aus feinstem Leinen, mit Purpur gefärbt und mit Goldfäden gesäumt. Die Nase war entweder verdeckt oder ersetzt worden durch eine kunstvolle aus getriebenem Gold. Auf dem Kopf trug die Greisin eine lange bunte Wollmütze, herabgezogen bis fast zum Hals; ein paar dünne weiße Haare lugten noch hervor. An den Fingern steckten vierzehn Goldringe mit Steinen und Gemmen.
    Der schwermütige Mann trug nur einen Chiton und Sandalen; er führte die Frauen zu einem Tisch in der Mitte. Dymas beendete das Sappho-Lied und ging ohne Unterbrechung zu einer langsamen ionischen Tanzweise über. Er sah, wie Dexippos sich zu den neuen Gästen begab, deren Zahlungsfähigkeit außer Frage stand; bald brachte er ihnen Wasser und Wein, Becher, frisches Fladenbrot und eingelegte Früchte, dann eine Schale mit Hirse, Fleischbällchen, Lauchstreifen, in Wein gedünstete Feigen, die besten Stücke großer Flußfische, gebraten in Fett und Kräutern, abgelöscht mit Bier. Der Mann und die junge Frau aßen mit den Händen; die Alte verlangte eine Platte und eine Gabel, mit der sie alles kleinknetete, ehe sie es dem zahnlosen Mund zuführte.
    Dymas hatte bereits gegessen. Er stand, an einen Tisch gelehnt, etwa in der Mitte der vom Fluß fortführenden Längsseite der Schänke, spielte eine weitere Tanzweise, verwarf dabei in Gedanken den Vortrag eines Lieds, in dem der Sänger den Göttern für seine einzelnen Körperteile (mit jeweiliger Nutzanwendung) dankt, darunter Nase und Zähne. Als er das Stück beendet hatte, zog er die linke Hand aus der Tragschlaufe, setzte sich auf den Tisch und stemmte den Schallkasten der Kithara auf den linken Oberschenkel. Nun konnte er die Finger freier bewegen. Auch für diese hatte der Sänger den Göttern gedankt– für das Streicheln und Kneifen und Würgen.
    Er sang ein kurzes, munteres Trinklied, spielte dann die Melodie weiter ohne Gesang, übertrug sie aus ionischen in phrygische Tonsprünge, kehrte zu den ionischen zurück. Danach legte er die Kithara beiseite und nahm ein Rohr seines Doppelaulos. Mit der Linken klopfte er rhythmisch gegen den Schallkasten der liegenden Kithara, mit den Fingern der Rechten spielte er jene seltsame Endlosweise der Ruderer, mit Verzierungen und verschliffenen Doppeltönen. Er sah, wie die alte Frau aufhorchte und leise etwas zu der jüngeren sagte, die den Kopf wandte und Dymas nachdenklich betrachtete.
    Er griff wieder zur Kithara, hielt sie auf dem Oberschenkel, stimmte zwei Saiten schärfer und spielte die sechs Töne des Ruderlieds, immer ein wenig versetzt, auf der körpernächsten höchsten Saite, dann auf der zweiten, dritten, vierten. Als er die siebte, die tiefste Saite erreichte, zupfte er nicht mehr, sondern berührte sie nur oben mit den Metallkuppen. Die leisen, sirrenden Klänge vermengten sich mit schmerzenden Obertönen, als er das Elfenbeinplektron nahm und die Saite anriß. Er kehrte zurück zur ersten, legte das Plektron fort, spielte die sechstönige Melodie gleichzeitig, zweistimmig, auf der ersten und der dritten Saite, flocht Verzierungen hinein, ging zu einer ekstatischen phrygischen Fassung über, zu der er halblaut die Worte sang. In der Schänke war es sehr still geworden.
    Dymas lehnte sich auf dem Tisch zurück, an den Tragpfosten; er schloß die Augen und spielte die Kräuselwellen des Nils, die lehmige Bugwoge des Kahns, die schnellen Silberleiber von Fischen, die tiefe böse Furche eines Krokodils. Er wob den Wind hinein, der am Ufer durchs Ried strich; einen Fischreiher, der langsam, langsam das Wasser verließ und aufflatterte; und die Totenklage um den ertrunkenen Flußschiffer, der nicht in die Unterwelt einging,

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