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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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voller Weinflecken, ebenso der Boden, die Teppiche und die Felle. Die Augen der alten Frau waren rot und geschwollen; der Raum stank nach Wein, nach Trauer, nach Rauschkräutern, die in einem Kohlenbecken glühten.
    Neben ihr lag eine verzierte Kithara. Wortlos deutete sie darauf und auf den Becher, den Mandrokles dem Musiker reichte. Dymas trank; da er noch nicht gegessen hatte und der Wein unverdünnt war, spürte er bald die Wirkung, die von den stechenden Rauchwolken vermehrt wurde. Er nahm die Kithara, die trotz aller Verzierungen technisch der seinen weit unterlegen war; er stimmte sie notdürftig und spielte, all dies immer noch wortlos. Mandrokles lag ausgestreckt auf dem Boden, trank und weinte. Kleonike begann, zu Dymas’ Spiel mit rauher Stimme eine düstere Geschichte zu erzählen, von wahnsinnigen Göttern und Palästen in Treibsand; von gräßlichen Ungeheuern und leichenfressenden Dämonen; von einem Helden der Vorzeit, die Nachzeit war, der eine Höhle verließ und eine tausendköpfige Schlange zerstückelte und seine Mutter befruchtete und tötete und seinen Vater erst erkannte, nachdem er ihn gemeuchelt hatte, und der am Ende immer noch in der gleichen Höhle war, die er verlassen zu haben glaubte.
    Berauscht, verfinstert, verloren spielte Dymas immer schneller. Irgendwann stand Mandrokles auf, drehte sich zur Musik und begann sich zu entkleiden, den Rücken zu den anderen gewandt. Als er nackt war, breitete er die Arme aus, drehte sich nicht mehr, stand einen Moment starr und wandte sich Kleonike und Dymas zu. Er hatte keine Hoden und kein Glied; nur einen Halm, an dessen Ende eine verknotete schlauchartige Verlängerung aus Tiergedärm saß.
    » Deshalb hasse ich die Perser«, schrie er. Dann warf er sich wieder auf den Teppich und schluchzte.
    » Spiel weiter. Sieh mich an.« Kleonikes Stimme kam aus jahrhunderteweiter Entfernung. Sie nahm die Mütze ab, zum erstenmal. Beide Ohrmuscheln fehlten. Sie stand schwankend auf, hob das Purpurgewand, streifte es über den Kopf. An ihrem Hals hing ein Amulett, das ankh- Zeichen mit dem Horos-Auge in der Schlaufe; es lag zwischen Brüsten, die zerfleischt worden und vernarbt waren und fransig. Der Unterleib mußte von hundert Lanzenstößen geöffnet und zerschlitzt worden sein; alles war eine Wüste aus Narben und Verwerfungen.
    » Deshalb hasse ich die Perser!«
    Irgendwann erwachte er, mit schmerzendem Schädel, in einer Lache von Erbrochenem, auf einem der Gänge des Hauses. Tekhnef richtete ihn auf, half ihm in seine Räume, half ihm sich zu säubern, bettete ihn an ihre Brust und summte ihn in den Schlaf.
    Am nächsten Tag suchte er Kleonike auf. Er war nicht sicher, ob alles nur ein furchtbarer Albtraum gewesen war. Die Greisin stand vor den Käfigen des hellen Zimmers zum Strand, in dem sie all die kleinen Vögel hielt, denen sie seit Jahren das Sprechen beizubringen versuchte. Sie blickte ihn über die Schulter an, schaute dann wieder auf die Käfige, in denen Gesang und Geflatter und Geschnatter waren.
    » Du mußt fort, Dymas.«
    Er blieb stehen, starrte ihren Rücken an. » Was… warum?«
    » In wenigen Tagen werden die Truppen und die Büttel von Nektanebos die Stadt besetzen; seine Spitzel sind längst unter uns. Und– in wenigen Monden werden die Perser hier sein.«
    » Die Perser? Was ist dann mit dir und Mandrokles?«
    Sie hob die Schultern. » Kann man uns mehr antun? Wir werden versuchen, soviel wie möglich zu bewirken, zu retten, mitzunehmen auf das letzte Schiff. Aber du, du mußt vorher gehen.«
    » Warum?«
    » Du hast einige Lieder gesungen, Dymas, und laut, zu laut bestimmte Dinge gesagt.« Sie seufzte. » Nimm Tekhnef mit. Sie ist frei.«
    » Aber…« Er versuchte sich zu erinnern, nicht an den vergangenen Abend, sondern an Musik, Worte, Gesichter. » Wenn Tekhnef frei ist, muß sie selbst entscheiden. Aber ich glaube dir nicht.«
    Kleonike schob einen Napf mit Wasser in den Käfig eines grellrotgrünen Vogels und schloß die winzige Gittertür. » Was glaubst du mir nicht?«
    » Die Lieder… hier und da ein wenig unwirsch, aber doch kein Grund für… Maßnahmen. Und wenn alles so wäre, wie du sagst, müßte doch… Ich meine, wenn es hier von Spitzeln wimmelte, wenn bald die Perser hier wären, müßte man doch in der Stadt etwas merken. Es ist aber ruhig.«
    Sie sah ihn ausdruckslos an. » Sei nicht kindisch, Dymas. Du willst nicht sehen, oder? Nach all den Jahren, in denen du selbst Berichte gemacht hast– was

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