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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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erwartest du von Herrschern? Glaubst du, du müßtest zum Mord an Nektanebos aufrufen, um ihm zu mißfallen? Oder seinen Leuten? Meinst du, nach all den Jahren, Herrscher brauchten einen Grund, wenn sie etwas tun wollen? Und nach all deinen Jahren leiser Arbeit verlangst du laute, aufsehenerregende Spitzel?«
    Er ballte die Fäuste und versteifte sich. » Selbst wenn du hierin recht hast– was ist mit den Persern? Es müßten doch Gerüchte…«
    Sie unterbrach ihn; diesmal war ihre Stimme hart. » Wach auf, Junge. Du hörst keine Gerüchte. Du bist zum Träumer geworden in Kanopos, hast alles verlernt oder vergessen. Du verbringst die Tage am Meer und mit Versen, die Abende mit Musik, die Nächte mit Tekhnef, du hörst nichts und siehst nichts mehr! Tennes, der König von Sidon, ist zum Verräter geworden und zu Artaxerxes übergelaufen; Gaza ist gefallen, das persische Heer steht vor Pelusion.«
    » Ich– ah…« Er hob die Hände über den Kopf, ließ sie fallen, drehte sich um und ging hinaus. Erregt und verwirrt lief er durch die Stadt, durch den Hafen, über die Seestraße. Er bemühte sich zu hören, zu sehen, zu erfassen. Die Festung jenseits des Flusses schien ruhig; etwas in ihm, lange unterdrückt oder ungenutzt, erwachte und sagte ihm, daß es drüben zu ruhig sei. Auch in Kanopos war es still, aber es war die gewöhnliche Mittagsstille. Er trank heißen Kräutersud in einer Strandschänke, aß in Brot gerollte scharf gewürzte Fischbällchen, kehrte schließlich heim in Kleonikes Haus.
    Die Greisin befand sich in einem ihrer zahlreichen Zimmer, im zweiten Geschoß, über den Räumen, die Dymas bewohnte. In der Ecke nahe dem Fenster sah er eine offene Bodenklappe; Kleonike machte eine Bewegung, als ob sie sie schließen wollte, kam ihm dann aber ein paar Schritte entgegen. Sie nestelte an der goldenen Nase; ihre Augen waren dunkel. » Nun? Hast du gesehen?«
    Er schüttelte den Kopf. » Nichts. Alles ist ruhig.« Er ließ sich auf eine gepolsterte Holzbank fallen. » Habe ich den vergangenen Abend nur geträumt? Oder war alles so, wie…«
    Sie zog die Mundwinkel herunter, machte noch ein paar Schritte und blieb vor ihm stehen. Dann schob sie die Wollmütze hoch; er sah die Löcher der Ohren. Sie faßte sich an den Hals und zog das Amulett hervor. Sie berührte die Nase.
    » Dies kann ich nicht abnehmen; ein guter Arzt hat es im Fleisch befestigt. Aber auch wegen der Nase hasse ich die Perser.«
    Dymas holte tief Luft; einen Moment lang schwindelte ihn. » Was ist mit dem Amulett, Mutter?«
    Sie lächelte müde. » So hast du mich lange nicht mehr genannt. Das Amulett? Leben und logos, Dymas; es ist aber auch mehr. Ein ägyptisches Zeichen, ein karchedonisches Zeichen, ein tyrisches Zeichen, ein chaldäisches Zeichen.«
    » Was…« Er unterbrach sich, weil er ein Geräusch hörte; es klang wie ein unterdrücktes, fernes Schluchzen, und es schien aus der Ecke zu kommen, aus der Bodenklappe. Er stand auf; Kleonike betrachtete ihn mit einem traurigen Lächeln, streckte die Hand aus, als ob sie ihn festhalten wollte, zuckte dann mit den Schultern.
    Er ging zur Bodenklappe, bückte sich und blickte in das Loch. Ein wenig vergröbert, aber doch deutlich sah er in einem silbrigen Spiegel, der den Widerschein anderer Spiegel aufzufangen schien, sein Schlafgemach; auf dem Bett lag Tekhnef, auf dem Bauch, schluchzend.
    Er richtete sich auf, mit einer Grimasse. Kleonike kaute auf der Unterlippe.
    » Was ist das?« sagte er heiser.
    Sie runzelte die Stirn. » Was soll es sein? Was bleibt mir denn vom Leben außer– betrachten? Es ist gut, daß ihr fast immer Licht gemacht habt, bei eurer einfallsreichen Liebe.«
    Dymas öffnete den Mund, dann schloß er ihn wieder, wandte sich ab und lief hinaus.
    Abends ging er mit Tekhnef zu der Musikschänke, in der er mit anderen bis in die Nacht hinein spielen wollte. Die Frau war ungewöhnlich schweigsam, versonnen, versunken; er hatte ihr nichts von allem gesagt, war aber beinahe sicher, daß sie alles wußte.
    Die Straßen waren belebt wie immer. Die Sonne ging unter wie immer. Sie sahen fremde und vertraute Gesichter; der Weinhändler nahe der Musikerschänke schloß eben seinen Laden. Der Milchverkäufer, nebenan, schob einen einachsigen Karren in seinen Hof; am Morgen würde er den trommelartigen Behälter mit dem weißen Trank füllen, das Maultier vorspannen und rufend und singend durch die Straßen ziehen. Dymas lachte plötzlich grimmig; die weiße Unschuld

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