Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
schüren Athen, Byzantion und Perinthos wieder Unruhen. Es ist schlecht für Makedonien, für Thrakien– sogar Thraker möchten hin und wieder in Frieden ihre Felder bestellen–, für Hellas, für den Handel mit den Steppen im Norden. Für alle.«
» Und du meinst, Athen, also das Bündnis des Demosthenes, wird dich angreifen, sobald du Byzantion und Perinthos belagerst?«
Philipp lächelte unendlich sanft und tückisch. » Wenn die Städte fallen, beherrscht Makedonien den ganzen Norden und die Meerengen. Das kann Athen nicht hinnehmen. Und notfalls, wenn Demosthenes sich nicht mit seiner Kriegspolitik durchsetzen kann, werde ich noch ein wenig nachhelfen.«
» Wie, Herr der Makedonen?« Aristoteles’ Stimme klang gleichzeitig bewundernd und spöttisch.
» Laß dich überraschen, Fürst der Philosophen. Parmenion, der mich übrigens bat, dir seine Verehrung und Freundschaft zu Füßen zu legen, ist unterwegs nach Osten, mit den meisten Truppen.« Philipp kniff die Augen zusammen. » Wir werden ein paar neue Dinge erproben; neue Belagerungsmaschinen und bewegliche Türme, die nicht gleich umfallen, wenn man an ihnen zupft. Polyidos– du kennst ihn, glaube ich– hat den Winter über Einzelteile entworfen; sie werden mit Schiffen und Karren dorthin gebracht und zusammengebaut. Parmenion und ich werden zwischen Byzantion, Perinthos, dem großen Fluß im Norden, Istros, und Thrakien für den Fortschritt der Dinge sorgen. Antipatros wird zwischen Illyrien und Thessalien hin und her wandern, in tiefer Nachdenklichkeit; er wird den Thessaliern die Wangen tätscheln, wenn ihnen die Furcht ins Gemüt steigen sollte; er wird dem König der Illyrer die Nase putzen, wenn dieser sie allzu tief in unsere Dinge steckt; er wird Straßen anlegen, von Norden nach Süden, oder vorhandene ausbessern; er wird Vorratslager einrichten– es könnte ja sein, man weiß es nicht, daß Athen uns den Krieg erklärt und wir dann schnell große Truppenverbände nach Süden verlegen müssen; häh. Und er wird Krieger werben und ausbilden.«
» Deshalb…«
Philipp beugte sich vor, die Unterarme auf der Tischplatte. » Genau– deshalb. Ich brauche Alexander, und die besten der anderen. Er ist jung; gewisse Dinge lernt man erst mit der Zeit. Wissen aus Büchern, sein Leben in Pella und Mieza, der Umgang mit Fürstensöhnen und rauhen Kämpfern in Beroia, all dies wird ihn, wenn er gut ist, fähig machen, Pella zu leiten– den Hof, die Verwaltung, den Nachschub. Erfahrene Kämpfer will ich ihm nicht unterstellen, bevor ich ihn nicht selbst im Kampf gesehen habe. Denn dies ist eine Sache, die man nicht aus Büchern lernen kann.«
» Das weiß er– wie die anderen.« Aristoteles hob den Napf mit der Brühe, die inzwischen ein wenig abgekühlt und trinkbar geworden war. » Sie wissen es, weil ich es ihnen gesagt habe.«
Philipp verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte Aristoteles lange an. » Ich danke dir«, sagte er dann gedehnt. » Ich hatte gehofft, daß du unter den Philosophen vielleicht als einziger weißt, wo das nützliche Wissen, das man mit Wörtern vermitteln kann, enden muß und wo die Tat beginnt. Sag– ist er gut genug?«
Aristoteles blies noch einmal über die Brühe, trank, setzte den Napf ab. » Alexander ist der beste Schüler, den ich je hatte. Aber…«
» Aber was?«
» Er hat einige seltsame Ideen über Hellenen und Barbaren und ihre Gleichwertigkeit. Und… er ist zu gut.«
Philipp verzog das Gesicht. » Wie kann jemand zu gut sein?«
Aristoteles schloß die Augen; er sprach halblaut und sehr ernst. » Inwendig ist der Mensch ein System von Waagen und Schalen. Liebe und Haß. Geiz und Großmut. Tugend und Niedriges. Größe und Feigheit. Wenn die Schalen gleichmäßig gefüllt sind, die Waagen ausgewogen, dann kann ein Mensch seinen Platz im Gefüge der Dinge einnehmen und sein Bestes tun. Wenn eine der Schalen zu voll oder nicht voll genug ist, wenn die Waage kippt, wird er vielleicht zu gierig oder geht durch allzu weitherzige Großzügigkeit zugrunde oder ist zu kriegerisch und vergißt, daß auch Gold oder Verträge oder Versprechungen zum Ziel führen können. Wenn die Liebste nicht eingesperrt ist, sollte man die Wand ihres Hauses nicht mit dem Kopf niederrammen, sondern die Tür benutzen.«
Philipp rümpfte die Nase. » Ja. Und weiter?«
» Alexander ist ausgewogen. Soweit man dies von einem jungen Mann sagen kann. All seine Freunde… Die Welt wird von ihnen hören, später; hier, in
Weitere Kostenlose Bücher