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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sprechen und denken kann. Nur so daliegen und erlöschen… wäre nicht angemessen. Sprich mit ihm– frag ihn– ermuntere ihn. Darf ich dabeisein?«
    » Wer bin ich, daß ich über dich und deinen Vater zu bestimmen hätte? Nichts von dem, was ich wissen will, ist geheim.«
    Sie legte die Hand auf seinen Unterarm. » Komm.«
    Aristoteles trug ein frisches Gewand. Das Lager war mit neuen Decken versehen. Pythias setzte den Rahmen in die Fensteröffnung; die saubere Luft füllte sich mit Ruch von brennendem Holz und von Weihrauch. Das Feuer loderte; jemand hatte Asche und verkohlte Reste entfernt.
    » Man wird wieder zum Säugling.« Aristoteles sah erfrischt aus, beinahe ausgeruht. » Ich glaube, ich hatte auch oben einen, ah, Ausfluß. Wörter und Gedanken, ungeordnet und ungehindert ausgeströmt aus einem Kopf, der zum After des Geistes geworden war. Setz dich.«
    Peukestas blieb am Fußende des Lagers stehen. » Bist du sicher, daß du…?«
    Aristoteles versuchte zu lächeln und klopfte mit der flachen Hand auf die Decken. » Ich bin. Ich könnte sogar…« Er stützte sich auf einen Ellenbogen und zog das ägyptische Amulett hervor. » Nicht mehr lange, fürchte ich. Vielleicht sollten wir die Gelegenheit nutzen, solange die Kraft reicht. Knie neben mir, Junge.«
    Peukestas warf Pythias einen Blick zu; die Frau erwiderte ihn nicht. Sie schob einen Schemel zur Wand, am Kopfende des Lagers, setzte sich und lehnte mit dem Rücken an den Steinen.
    Aristoteles hustete; einen Moment kippten seine Augen hoch, und Peukestas sah nur das Weiße. » Vieles von dem, was noch zu berichten ist, kannst du den Briefen meines Neffen Kallisthenes entnehmen. Einige Briefe, die ich von anderen, von den alten Schülern erhalten habe, sind nicht mehr hier– sie sind in Athen, wenn man sie nicht verbrannt hat; besonders wichtige Vorgänge, die darin geschildert wurden, will ich dir erzählen. Dann wird der Teil kommen, den du selbst miterlebt hast. Meine Kraft reicht noch für einige wenige– Denkbilder. Knie; schau ins Auge des Horos, Sohn Drakons.«
    Peukestas ließ sich langsam auf ein Knie nieder. » Wo sollen wir weitermachen?«
    Aristoteles kicherte heiser. » Du bist sehr zuvorkommend. Du könntest ja auch sagen, wir sollten da weitermachen, wo der Alte angefangen hat zu sabbern, nicht wahr? Ich weiß noch, was ich abgesondert habe. Es war wie Durchfall, Peukestas; man sieht sich dabei zu, kann es aber nicht verhindern.«
    » Wenn du es sagst…«
    » Viele Dinge habe ich aus Philipps letzten Jahren ohnehin nicht gesehen– nur gehört, manchmal nicht einmal von Zeugen, sondern als Gerücht.«
    » Die großen Dinge sind verzeichnet. Sag mir, was du sagen kannst– die Dinge, die nicht verzeichnet sind. Dinge, die mir helfen, die Aufzeichnungen besser zu verstehen, oder zu bezweifeln.«
    Aristoteles ließ sich in die Kissen sinken. Die Hand mit dem Amulett ruhte auf seiner Brust. Einen Moment sah Peukestas ein drittes Auge, ein verzerrtes Dämonenauge, aus der Brust des Philosophen wachsen, und es war, als ob es weiter wüchse, um schließlich die ganze Brust auszufüllen. Als würde Aristoteles zu einem dämonischen Auge, ganz Schau, ganz Wahrnehmung, gleichzeitig ganz Umwandlung des Wahrgenommenen zu etwas Fremdem, Unheimlichem. Er schüttelte sich, blieb weiter auf einem Knie neben dem Lager, unfähig, sich von dem Anblick und den Gedanken loszureißen.
    Aristoteles begann halblaut zu sprechen; es war wieder die beherrschte, gegliederte Rede, nicht das springende, strömende Hecheln der letzten Zeit vor der Unterbrechung. Er schilderte die wichtigsten Grundzüge der wie immer dreifach wirksamen, listigen Unternehmungen Philipps. Und seine großen Helfer: Parmenion, einfallsreich und notfalls tückisch auf dem Schlachtfeld, erfahren und ebenso kühn wie umsichtig; Antipatros, der gute Freund des Philosophen, ein großartiger Verwalter und Mehrer; zu ihnen kam nun Alexander.
    » Viel kann ich dir nicht erzählen, über Alexander und seine Zeit in Pella. Die Art der Arbeit, die er dort zu tun hatte, eben die Verwaltung, die Ordnung, die Sorge um die täglichen Dinge, die Einhaltung des Rechts, die Beschaffung von Vorräten, all dies ist erst dann auffällig oder sichtbar, wenn es lückenhaft und schlecht gemacht wird. Die schlichte Tatsache, daß niemand etwas über bedeutende Ereignisse weiß, daß alle Dinge ruhig und ungestört flossen, ist ein Beweis dafür, daß Alexander, der in diesem Jahr siebzehn wurde, vollkommen

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