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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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und Demosthenes geschwächt war. Erst dann gab es die Möglichkeit, im nordöstlich Athens gelegenen Bezirk um das Heiligtum des Apollon Lykeios eine eigene Schule zu begründen: für die Erforschung der Dinge, wie sie sind. Vorher hätte Aristoteles allenfalls als Gehilfe von Speusippos und, nach dessen Tod, von Xenokrates in der Akademie daran mitarbeiten können, derlei Forschung zu hintertreiben durch Errichtung von Denkgebäuden über die Welt und die Dinge, wie sie nach Platons Meinung sein sollten.
    Der Sterbende sprach schneller, fiebriger; etwas schien ihn zu drängen oder zu hetzen. Peukestas hatte Mühe, den Gedankensprüngen zu folgen. Pythias, Mieza, Stageira, das Lykeion, Erinnerungen an Hermias, Rückgriffe auf Anekdoten aus Pella, dann wieder Zusammenfassungen langer Gespräche mit Antipatros, Vorgriffe auf Briefe Alexanders, eine Verurteilung des Kallisthenes und seiner ungezähmten Zunge; immer neue Bruchstücke von Gedanken über das Hellenische und das Barbarische: freies lichtes Denken zur Gestaltung der Welt gegenüber dumpfem düsteren Verweilen in knechtischem Glauben und Gehorchen. Namen, Vorgänge, Geschichten ohne Anfang und Ende: der Korinther Demaratos, Freund Philipps, der Alexander den unvergleichlichen Hengst Bukephalos schenkte und später, als Philipp und Alexander miteinander gebrochen hatten, die Versöhnung bewirkte; die schöne Kallixeina, von Olympias dafür gekauft, daß sie Alexander von Hephaistion trenne und in die Freuden des weiblichen Fleisches einführe, von Alexander kühl mißachtet; die kriegerischen und politischen Verwicklungen.
    Während die Reden des Greises immer wirrer wurden, füllte sich das Zimmer mit Gestank. Pythias hatte in der Küche oder einem der anderen Räume vielleicht geschlafen, vielleicht geweint; plötzlich erschien sie, mit verquollenen Augen und hängenden Mundwinkeln. Sie atmete tief ein, legte die Hand auf Aristoteles’ Stirn und bat Peukestas mit einer Kopfbewegung, den Raum zu verlassen; dann rief sie nach der alten Sklavin.
    Peukestas trat aus dem Haus. Milder Wind strich über den Hügel, streichelte sein Gesicht. Erst jetzt wurde ihm klar, wie stickig es drinnen gewesen war. Er breitete die Arme aus, damit der Wind leichteren Zugang zu ihm fand; mit vollen Zügen genoß er die heile Luft auf dem Hügel. Irgendwo weiter östlich flackerte ein Feuer in der Ebene; der Meeresarm glitzerte unter den Sternen und dem Mond. Peukestas suchte und fand den großen Bottich; nachdem er sich erleichtert hatte, ging er hinab zum Brunnen, machte kehrt, stieg hinauf zum Haus. Der sieche, säuerliche Geschmack wich nur sehr langsam aus Mund und Nase. Aus dem kleinen Beutel, den er an einer Schnur um den Hals trug, zog er ein paar Blätter Minze, schob sie in den Mund und kaute, wie sein Vater es immer getan hatte. Wieder blickte er zum Himmel empor. Die Sterne waren milder und weniger zahlreich als die von Babylon. Alles war milder– die Luft, die Speisen, die Städte, das Land. Er versuchte, sich an die Kindheit zu erinnern, fand aber nur die Spuren jüngerer Ereignisse und Gerüche. Aristoteles’ Worte schoben sich zwischen die Welt und die Wahrnehmung. Er bündelte seine Gedanken, beschwor Pella, die Stadt und die Landschaft, die er mit dreizehn Jahren verlassen hatte. Unglaublich, daß dies erst zwölf Jahre her sein sollte; Milet und Ephesos und Gordion und Ägypten und Babylon und Persien, die Berge und die Wüsten und die Ströme, sengende Hitze und schneidende Kälte, Eilmärsche in voller Rüstung durch staubige, steinige, feindselige Landstriche; baktrische Sonnenaufgänge, deren Schönheit und Einsamkeit Tränen in die Augen trieb, und Sonnenuntergänge über der arabischen Wüste oder im Dunst von Babylon; der Rausch des Geschmacks von Blut auf Stahl, lang und gierig; der Rausch in den Armen einer Perserin, schnell und heftig; die starren Augen der toten Kameraden, die Reihen der Gefangenen, die die Grube ausheben mußten; der Schweiß und das Entsetzen der Pferde beim Gebrüll des ersten Elefanten. Und immer wieder der sanfte Nachtwind im Herbst von Euboia.
    Als Pythias aus dem Haus trat und leise nach ihm rief, mußte es kurz vor Mitternacht sein, wenn die Sterne nicht logen.
    » Du kannst wieder zu ihm. Es geht ihm besser.« Ihre Stimme war flach, eine Hand nestelte an der Hüftschärpe.
    » Möchtest du, daß ich ihn in Ruhe lasse?«
    Sie lachte gepreßt. » Wozu? Er wird den Mittag nicht mehr erleben. Nein, es ist besser, wenn er

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