Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
Sohn des großen Philipp, jung, strahlend, angenehm im Umgang– wie zu hören war; Demades sollte es gesagt haben– und außerdem fähig als Verwalter, gerecht als Richter, gewaltig als Kämpfer, zweimal siegreich als Führer: Wen sonst sollte man vergöttern? Der Musiker begriff auch sehr gut die Stimmung in Athen, die nach dem Einreiten der Makedonen umgeschlagen war. Zumindest teilweise. Sie hatten gehaßt und gefürchtet, und nun ritt Apollon selbst ein; sie hatten, von Demosthenes bearbeitet, mit den Schwertern der Barbaren gerechnet, und nun lud man sie zu einer Theateraufführung.
Mehr als alles andere beschäftigte den Musiker jedoch der Vollmond. Es war später Nachmittag oder früher Abend; vom höchsten Rang des Dionysos-Theaters konnte er sehen, wie die strahlende Scheibe über die Akropolis stieg, hell sichtbar im sinkenden Sonnenlicht. Als es schnell dunkler wurde und das Licht des Mondes das ganze Theater erreichte, glühte die Glatze des Antipatros, in der ersten Reihe, wie mattes Gold auf. Das echte Gold daneben war Alexanders Schopf.
Jemand berührte ihn am Arm, als nach dem Ende der Vorstellung alles zu den Ausgängen drängte. Dymas wandte sich um.
» Demaratos! Was machst du denn hier?«
Der Korinther zwinkerte. » Gewisse Dinge muß man sich ansehen. Hast du einen Augenblick Zeit?«
Sie begaben sich zu einer kleinen Schänke, nordöstlich des Theaters, jenseits der großen Straße, die um die Akropolis führte.
Demaratos trank schwarzes Bier, Dymas zögerte und schloß sich an. Der Korinther blickte nach rechts und links und beugte sich vor.
» Die Stimmung in der Stadt gefällt mir nicht.«
Dymas zuckte mit den Schultern. » Sie hat mir noch nie gefallen, seit ich zum ersten Mal hier war. Was mißfällt dir?«
» Diese Mischung… Einerseits nachhallender Haß, mit Stolz und Trotz vermengt. Andererseits beginnende Begeisterung für Alexander. Und in der Mitte eine ungeheure Mehrheit von dumpfen Zweifeln und Ergebenheit. Ein Instrument, auf dem Demosthenes vorzüglich spielen könnte.«
Dymas kniff die Augen zusammen. » Warum bekümmert es dich– Händler?«
Demaratos lachte unterdrückt. » Sagen wir, es gibt viele Dinge, an denen mir liegt. Eines ist die schöne Eirene [Friede], in deren Gesellschaft die Geschäfte besser gedeihen als unter der Fuchtel des Ares.«
» Friede um jeden Preis, Korinther?«
Demaratos schnitt eine Grimasse. » Keineswegs. Wenn die Freiheit bedroht ist und das Wohlergehen, dann ist kein Krieg zu teuer. Aber Philipp bedroht weder die Freiheit noch den Wohlstand der Athener. Die Friedensbedingungen sind mehr als mild.«
Dymas hob eine Braue. » Friedensbedingungen? Bis jetzt kennt keiner sie– soweit ich weiß.«
Demaratos starrte in sein Bier. » Ah, du weißt, ich habe gute Beziehungen, hierhin und dorthin. Hast du Zeit, heute?«
» Was willst du von mir?«
» In der Stadt laufen viele Männer herum, die im Auftrag des Demosthenes Stimmung gegen Makedonien zu machen versuchen. Alles, damit es nicht zu einem Ausgleich kommt.« Leiser setzte er hinzu: » Einige, die so etwas tun, oder tun könnten, in der richtigen Umgebung, sind aber gegen Demosthenes. Sagen wir, sie tun einem alten Korinther den Gefallen, Demosthenes durch dummes Geschwätz, das angeblich von ihm stammt, mehr zu schaden, als sie es durch kluge Reden je könnten.«
Dymas rümpfte die Nase. » Und jetzt soll ich mit der Kithara losziehen und ihnen Anlaß dazu geben?«
» Klug, mein Freund, aber nicht klug genug. Sie werden dir Anlaß geben, gewisse Lieder zu singen– Verse vorzutragen.«
Dymas lehnte sich zurück. » Nein.«
» Nein?«
» Berichte schreiben, Nachrichten sammeln, wenn mir danach zumute ist, das ist eines. Meine Kunst, Demaratos, steht niemandem zur Verfügung außer der Kunst selbst und dem Vergnügen der Menschen, oder ihrer Trauer.«
Demaratos lächelte. » Jeder hat seinen Preis, Dymas. Auch du.«
» Nicht in diesem Fall.«
» Doch. Einen Preis gibt es, den du mir immer zahlen wolltest und den ich bis jetzt abgelehnt habe.«
Dymas hielt einen Moment die Luft an. » Du sprichst von viereinhalb Minen, um die du mich in Karchedon gekauft hast.«
» Sing, Dymas; sing heute abend, und du bist frei.«
Dymas sang. In einer Schänke begann jemand, kaum daß Dymas eingetroffen war und zu stimmen begann, mit einer Preisrede auf den Krieg, zur Festigung der athenischen Vorherrschaft, die, wie jeder wisse, nötig sei zum Wohle aller Hellenen. Dymas unterbrach
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