Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
Brustpanzer der Männer, die Schilde und Lanzen und Schwerter: Alles blitzte in der Sonne.
In der Mitte des prachtvollen Zugs ritt Alexander auf einem weißen Pferd ohne Zaumzeug, sogar ohne Decke. Er trug nichts als einen weißen Chiton mit Purpursaum, dazu einen schlichten Ledergurt. Keine Waffe, kein Stück Rüstung, kein Helm. Er wirkte schmächtig, fast zerbrechlich, und strahlend schön. Die Sonnenstrahlen sammelten sich in seinem blonden Haar: Phoibos Apollon selbst schien gekommen, die Stadt zu besuchen. Und eine Theateraufführung zu sehen.
Lysons Schauspieltruppe, unbeeindruckt von der erlauchten Versammlung, bot eine seltsame Mischung dar; die Bewegungen waren genau, die Verse schwebten, die Worte waren bestens zu vernehmen, aber insgesamt löste die Aufführung Unbehagen aus. Was auch an zwei oder drei überleitenden Worten liegen mochte. Ein Stück aus dem Archelaos des Euripides, behandelnd die edle Abkunft des makedonischen Königshauses, wurde vom Chor einstimmig eingeleitet mit der Erklärung, es handle sich um ein Werk eines in Athen vergessenen, seinerzeit aus Athen geflohenen Dichters namens Euripides, den der kunstsinnige Herrscher der Makedonen vor siebzig Jahren zu seinem hetairos erhoben habe. Ein Stück aus den Babyloniern des großen Aristophanes– der Protagonist trug eine Maske, die dem Gesicht des Demosthenes ähnelte– löste den Chor zu Einzelmasken auf: Sklaven, die unter der Peitsche des Protagonisten mit der Handmühle schufteten und Namen wie Rhodos, Kos, Olynth, Byzantion, Chalkis, Megara trugen: Athens geknechtete Bundesgenossen. Es folgte ein Stück aus den Rittern des Aristophanes, mit dem Protagonisten in der Demosthenes-Maske als barbarischer Sklave des Herrn Demos, über den er durch Schmeichelei, Aneignung fremden Verdienstes und Brutalität gegenüber seinen Mitsklaven eine Tyrannis errichtet hat. Zum Schluß gab es ein Stück aus den Persern des Aischylos, dessen Worte– dem Chor zufolge– von Philipps Sohn Alexander, einem Schüler des Aristoteles, leicht verändert worden waren: die bittere Klage des Volkes und der Königin über den ungerechten, schändlichen und dazu schlecht vorbereiteten Krieg, der so viel edles Blut gekostet und nichts erbracht hatte als Schande und vielleicht die Erkenntnis, daß man falschem Rat gefolgt sei.
Alexander verließ das Theater als erster, gefolgt von Antipatros. Draußen bestieg er Bukephalos und ritt von der Südseite zur Nordseite der Akropolis, zur Agora. Dort waren inzwischen makedonische Hopliten eingetroffen, die die wichtigsten Zugänge und Gebäude besetzt hielten und Packlasten mitgebracht hatten. Die Körbe und Ballen wurden geöffnet: Sie enthielten Weihrauch, Harze, Tücher, Weihgaben. Alexander opferte an allen Altären, bestieg Bukephalos und verschwand. Mit ihm verschwanden seine Kämpfer, seine Unterführer, der grimmig schweigsame Antipatros. Der Schauspieler mit der Demosthenes-Maske bat das Volk von Athen für den nächsten Morgen zu einer Bürgerversammlung.
Dymas verfolgte die Darbietungen vom obersten Rang des Theaters aus. Lysons Schauspieler waren nicht schlecht, aber die hin und wieder eingreifenden– oder einfallenden– Musiker konnten offenbar nicht einmal richtig stimmen.
Tekhnef war nicht im Theater– sie war eine Frau; sie war schwarz; sie hatte keinen Zutritt, und keine Lust. Dymas war zwar kein Athener, nicht einmal Metoike, gelangte jedoch ohne Schwierigkeiten in den großen Halbkreis. Was immer am Ende herauskommen mochte– die Makedonen würden ohne Zweifel nicht Athen zerstören, was Demosthenes zufolge ihr oberstes Ziel sein sollte. Wenn Philipp es wirklich wünschte, hätte er nicht seinen Sohn und Antipatros geschickt, um die Seelen zu verwirren und Auftritte zu gestalten, sondern wäre selbst gekommen, mit dem ganzen Heer.
Eine Weile hatte er, zuerst beim Einreiten, dann im Theater, den Sohn des Makedonen beobachtet. Antipatros, Verkörperung der Staatlichkeit und List, aber auch der Dauer und des Ausgleichs, schien nur als Berater mitgekommen zu sein; die Leitung der seltsamen bewaffneten Gesandtschaft lag ohne Zweifel in Alexanders Händen. Dymas hatte keinerlei Hang zu Knaben oder älteren Männern, räumte aber ein, daß der Königssohn, schlank und etwas kleiner als die meisten, mit heller Haut, hellen Haaren und geschmeidigen Bewegungen, sicherlich der schönste Mann war, den er je gesehen hatte. Unübersehbar war auch, daß die harten makedonischen Kämpfer ihn vergötterten.
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