Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
Schultern, straffte sich, ließ die Arme baumeln. » Man hat mich gelehrt, das blendende Mittagslicht des Denkens zu nutzen, um das Zwielicht des Aberglaubens zu bezwingen. Wenn du das lästerlich nennst, ist dies nur deine Ansicht. Ich werde selbst die Götter befragen. Der Sohn des Königs braucht keinen Priester– ich brauche dich nicht, daß du zwischen sie und mich trittst und mir ihre Weisungen übersetzt und deutest. Vielleicht verbergen sich die Götter im blendenden Licht der Sonne, so daß keiner sie sehen kann, ohne zu erblinden. Ich glaube aber nicht, daß sie sich im Bauch der Nacht verbergen, und auch nicht im Nebel der Orakel.– Ich wünsche dir eine gute Reise, Mutter.« Er neigte den Kopf und ging hinaus.
Olympias, die Arme halb erhoben zu einer Umarmung, starrte hinter ihm her, das Gesicht eine Maske aus gefrierendem Zorn, aus Ungläubigkeit, Enttäuschung und Schmerz. » Entgleitet mir denn alles?« Ihre Stimme hob sich wie zu einem Kreischen, brach dann und wurde dumpf. » Nichts mehr in der Hand? Nichts mehr mein eigen?«
Aristandros kratzte sich den Kopf; um seine Augen lag die Andeutung eines Lächelns. » Wir sind geboren, um zu sterben.« Seine Stimme war kühl und schien aus der Ferne zu kommen. » Wir ergreifen, was wir nicht halten können. Der Mensch ist eine Frage, die am besten unbeantwortet bleibt, glaube ich. Wenn es auch meine Aufgabe sein mag, Antworten zu finden auf Fragen, die keiner je stellt. Wenn dein Sohn die Götter herausfordert, dann tut er dies, weil die Götter es so angeordnet haben. Er ist an einem Ort, wo du und ich ihn nicht mehr berühren können.«
Ein paar Stunden mochten die Dinge warten oder von anderen getan werden. Noch ehe der Zug der Königin, die keine Königin mehr war, Pella verlassen hatte, waren Alexander und Hephaistion zu Pferd im Hafen von Pella eingetroffen. Sie ließen die Tiere auf einer Wiese am Westende. Hephaistion befahl dem Jungen, der dort Schweine hütete, auf die Pferde zu achten. Alexander hielt eine Drei-Obolen-Münze hoch und gab sie dem Jungen, mit einem Lächeln.
Sie schlenderten über den Hafendamm, schwiegen, betrachteten die Läden und die Leute. Ein Frachtschiff aus Ägypten lag am Kai. Dunkelhäutige Männer mit Augen, die viel Salz und Weite gesehen hatten, luden Ballen feinster Gewebe aus, Krüge und spitzbödige Amphoren mit ägyptischem Wein, die auf dem Kai in Gestellen untergebracht wurden, und Kisten voll bunter Fläschchen, Elfenbeinschnitzereien, Götterfiguren und Amuletten aus Silber, Gold, Goldbronze und farbigen Steinen. Alexander versuchte, mit den Leuten zu reden; sie waren freundlich, sprachen aber kaum Hellenisch. Und sie rochen seltsam, nach endlosen Tagen auf See, nach Salzwasser und Salzfleisch und Salzfisch, nach fremden Gewürzen und Bilge und Schweiß. Hephaistion stand mit gerümpfter Nase ein paar Schritte entfernt.
Das kleine Segelboot, ein Geschenk Parmenions an Alexander, lag an der Innenseite der Außenmole, die Hafenbecken und Meer trennte. Sie stiegen hinein, ruderten durch die Ausfahrt, setzten das Segel und ließen sich vom Nordwestwind, den Wellen und einem Gespräch treiben, das nach und nach einschlief. In der Ferne kroch träge einer der neuen Dreidecker vorüber, gegen den Wind, möglicherweise unterwegs nach Aloros, wo einige der Trieren lagen, sofern sie nicht die Küsten schützten oder am Hellespont Parmenion und seiner asiatischen Truppe den Rücken freihielten. Delphine näherten sich dem Boot, umkreisten es, verschwanden wieder; später sahen sie Thunfische. Irgendwann refften sie das Segel und ließen das Boot dümpeln. Alexander stand auf und zog sich aus; er glitt über die Bordwand und schwamm. Hephaistion zögerte kurz, dann folgte er.
Plötzlich sprang der Wind um; er wurde kräftiger und kam aus Südwesten. Sie mußten sich anstrengen, um wieder an Bord zu gelangen, ehe das Boot zu weit entfernt war. Lachend ließen sie sich von Wind und Sonne trocknen. Alexander breitete die Kleidungsstücke auf dem Boden aus, setzte sich, blickte zu Hephaistion auf und streckte die Hand aus.
Der Wind trieb das Boot zur Küste, ein Stück östlich des Hafens. Ein Bach mündete hier ins Meer, in einem Dschungel aus Schilf. Das Boot schnüffelte sich zwischen die Halme, setzte dann mit dem Bug auf und ruckte zwei-, dreimal.
Hephaistion löste sich aus Alexanders Armen, kniete und blickte über Bord. » Gestrandet. Ah, das ist der Bach.«
Alexander stand auf, legte den Schurz an und
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