Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
ihn lange beobachtet und wußten, wieviel er vertrug. Er durfte nicht nüchtern werden, aber auch nicht besinnungslos betrunken.
Die Lynkesten gehörten nicht zur königlichen Leibwache, der einige von Alexanders Gefährten zugewiesen worden waren, darunter Perdikkas, Leonnatos und der » Zwillingsbruder« des Thronfolgers, der blonde schmächtige Attalos, der in dieser Nacht Postendienst tat. Die Vorbereitungen der Hochzeitsfeier, die gewaltige Menge der Gäste, die nötigen scharfen Sicherheitsvorkehrungen, nicht zuletzt auch die Probleme der Versorgung, Betreuung und Unterbringung der edlen Gäste aus der halben Oikumene hatten nicht nur die Zahl der in und um Aigai eingesetzten Diener und Sklaven vervielfacht, sondern auch die der Kämpfer. Makedonische Gebietsfürsten brachten ohnehin Einheiten ihrer Landes- oder Haushaltstruppen mit, denen oft die jeweiligen Fürstensöhne als Hauptleute vorstanden. Fürsten und Fürstensöhne gehörten zu den geladenen Gästen; ihre Begleitmannschaften wurden den königlichen Leibtruppen gleichgestellt und arbeiteten bei der Versorgung und Betreuung der Gäste mit. Heromenes und Arrhabaios kümmerten sich mit ihren Leuten um Thessalier, Boiotier, Lokrer und Phoker, die in einer Zeltstadt ein wenig flußaufwärts von Aigai untergebracht waren. Andere hatten Aufnahme in Häusern der Stadt gefunden, verbrachten die Nächte in den Gebäuden umliegender Festungen, schliefen auf flachbödigen Flußschiffen, die am Ufer des Haliakmon festgemacht waren, auf Karren, oder einfach so, unter den Sternen.
Heromenes hatte sich freiwillig für eine der unangenehmsten Aufgaben gemeldet: die Überwachung, Anlage, Säuberung und Betreuung der Latrinen. Aigai und fast alle anderen Orte am Fluß waren auf das Wasser des Haliakmon angewiesen, da die Brunnen längst nicht mehr ausreichten, um die wachsende Bevölkerung mit Trinkwasser zu versorgen. Tausende Gäste durften nicht einfach tagelang den Fluß zum Abwasser machen– Gäste, ihre Diener, Sklaven, Wächter, Treiber, Köche, Reittiere, Packtiere, Zugtiere, Schlachttiere. Heromenes und seine Leute– Sklaven und lynkestische Sippenkrieger–, unterstützt von Haushaltstruppen des Königs, besorgten Wasser, legten Kot- und Abfallgruben an, leerten sie, und sie hatten deshalb überall freien Zugang und Zugriff auf Einrichtungen von Burg und Palast.
Die Stadt und das Land waren unruhig, aber in der Burg war kaum etwas davon zu hören. Sie wußten, daß draußen die Musiker und Tänzer, Sänger, Schauspieler und Dichter durch die Gassen und Schänken zogen, von Feuer zu Feuer; daß die Bäcker und Wurstmacher und Köche und all ihre Helfer und Sklaven ebenso durch die Nächte arbeiteten wie die Fuhrleute, die Obst und Getreide und Wein und Fleisch heranschafften. Im Wachraum war nichts zu vernehmen außer den Schritten der Posten draußen, dem Zischen und Knistern der Fackeln, dem Gemurmel der Männer im Hof, wo hin und wieder brennendes Holz knackte oder polternd stürzte, und dem Rollen der Würfel.
Sie waren Kunstwerke, von einem Schnitzer in Aloros angefertigt aus dem Oberschenkelknochen eines Auerochsen. Arrhabaios hatte sie besorgt; der Knochenschnitzer war ein wenig verwundert gewesen über die Sonderwünsche, die leichte Unregelmäßigkeit, die mit dem Auge nicht wahrgenommen werden konnte. Pausanias gewann nahezu unausgesetzt; auf seiner Seite des Tischs türmten sich Münzen– silberne Halbdrachmen aus Athen, makedonische Goldstatere mit dem Kopf des Apollon, persische Dareiken, Münzen aus Tyros und Korinth und Syrakus.
» Genug für eine längere Reise«, sagte Heromenes halblaut.
Pausanias schnitt eine Fratze. Seine Augen waren rot unterlaufen. Er sprach kaum, brütete, würfelte und gewann. Sie hatten über das Reich und die Sippen gesprochen, über das Heer in Asien unter Parmenion und jenem anderen, dessen Namen keiner nennen wollte, über die Ehre und die Rache, über das kurze Gedächtnis von Königen, die manchmal Schande geschehen ließen und den Schänder schützten, wodurch sie die Schuld übernahmen. Irgendwann fiel Pausanias’ Kopf neben die Münzen, lag auf dem Tisch; sein Schnarchen dröhnte durch den Wachraum. Heromenes wickelte sich in eine Decke und legte sich auf die Bank neben der Tür; Arrhabaios übernahm die Wache.
Vor Morgengrauen strömten die Gäste zum Theater von Aigai, wo die größten, schönsten und wichtigsten Darbietungen stattfinden sollten. Es war der letzte Tag und der Höhepunkt der
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