Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
unebenen Steinen; die schäbigen Häuser, zu lange nicht mehr beworfen; die dunkel gekleideten Frauen und die Männer mit den harten Augen; den dreieckigen Platz mit dem verkrüppelten Baum und der alten Stele des Gottes. Nicht einmal der Dreck der göttlichen Tauben, die den Orakelhain ebenso besudelten wie die Stadt, störte sie.
Das Haus, in dem der König– sie dachte kaum noch an ihn als den kleinen Bruder Alexandros; die Macht und die Ansichten hatten jede Innigkeit beendet– sie untergebracht hatte, lag auf einem Hügel; von der Terrasse sah sie rechts den Hain und den Berg, unter sich die Stadt, dahinter den See, links, nach Westen, die von Sümpfen und kleinen Seen durchsetzte Ebene, in der kaum eine Tagesreise entfernt Passaron lag, von Alexandros vorübergehend zur Hauptstadt erwählt, schäbig und bedeutungslos und, soweit es sie betraf, am anderen Ende der Welt. Aber neben dem Bett in ihrem größten Gemach, in dem sie die Nacht verbracht hatte, stand der Schreibtisch, und auf dem Schreibtisch lag der Brief, den der Ambrakier übermittelt hatte. Eine versiegelte, mit sorgfältigst verknoteten Fäden umwickelte Rolle in einer mit Wachs verschlossenen und auch außen versiegelten Röhre aus rötlichem Ton. Sie hatte die Siegel erbrochen und die Fäden durchschnitten. Die Leidenschaft der Nacht, die Höhepunkte des Beilagers waren ihr danach wie eine geziemende Fortsetzung der Wonnen erschienen, die der Brief enthielt, die Demosthenes ihr in dürren Worten bescherte.
Sie hatte gewußt, daß Passaron leer war– der König und sein Hofstaat hatten den Ort verlassen, vor vielen Tagen. Sie waren durch Dodona gekommen und dann weiter nach Osten gezogen, zum Zygos-Paß, durch die Berge ins nördliche Thessalien, weiter zum Oberlauf des Haliakmon und flußabwärts, nach Aigai, zur alten Königsstadt Makedoniens. Sie hatte gewußt, daß Philipp zur Festigung des Friedens ihre Tochter Kleopatra mit Alexandros vermählen wollte; sie hatte gewußt, daß Alexandros, der aus seiner langen Zeit in Pella das Mädchen kannte, das im Herbst siebzehn Jahre alt sein würde, die Vermählung vor allem aus politischen Gründen wünschte. Sie hatte gewußt, daß all dies nun geschehen sollte, und sie hatte jede einzelne Phase des Unternehmens gehaßt. Sie hatte die Götter angefleht, im Zygos-Paß Steine regnen zu lassen und Alexandros darunter zu begraben. Sie hatte geträumt, ihre Tochter treibe sich als Dirne in Hafenschänken herum, und der Traum war ihr ein Genuß gewesen, verglichen mit dem Gedanken an die Vermählung. An das endgültige Scheitern aller Versuche, die nicht unbeträchtliche Kriegsmacht von Epeiros gegen Philipp in Gang zu bringen.
Sie trat auf die Terrasse, einen Becher mit unverdünntem Wein in der Hand, und blickte nach Osten; sie träumte sich in die Luft, hoch über den Tomaros, so hoch, daß sie bis Aigai schauen konnte. Sie trank einen Schluck, dann noch einen und noch einen. Auf das Wohl des widerwärtigen Atheners, der ihr mitgeteilt hatte, persisches Gold sei über einen tyrischen Händler nach Aloros gelangt und dort gewissen lynkestischen Fürsten ausgehändigt worden, die dafür sorgen würden, daß am Tag der Hochzeit die Frage der Thronfolge erörtert werden könne. Auf das Wohl des Hauptmanns der Königswache; sie würde Pausanias nicht vermissen, dessen Körper Vorzüge hatte, die durch sein allzu anhängliches Gemüt gemindert wurden. Auf das Wohl des Admetos, dem sie einen letzten Auftrag gegeben hatte. Er würde endlich frei sein; und er würde nicht wissen, welchen Zwecken der harmlose letzte Auftrag diente.
Olympias leerte den Becher. Einen Moment hielt sie ihn in der Hand; dann schleuderte sie ihn von der Terrasse, den Hang hinunter; dabei stieß sie einen langen, schrillen Schrei aus, einen Schrei der Lust und des Triumphs. Er hallte weit über die Ebene, an diesem windstillen Morgen. Im heiligen Hain flogen ein paar Tauben von den Eichen auf.
Wieder eine endlose Nacht, vielleicht die letzte, für den einen oder anderen. Heromenes ließ die Würfel über das Brett rollen. Draußen war der gleichmäßige Schritt der Posten zu hören, ein Gemurmel vom Feuer im Innenhof der Festung. Niemand sollte die hochstehenden Gäste stören oder gar bedrohen können, die aus ganz Hellas angereist waren.
Drei tropfende Fackeln erhellten die Wachstube, in der Heromenes, Arrhabaios und Pausanias saßen und würfelten. Pausanias war halb betrunken; die beiden lynkestischen Fürstensöhne hatten
Weitere Kostenlose Bücher