Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
nickte. » Der Weg ist sicher, bis auf weiteres. Aber sag mir, etwas ausführlicher als gestern, was du dort oben im Norden getrieben hast. Warum wolltest du diese Art Wissen erwerben? Es ist doch nicht gerade üblich unter hellenischen Philosophen, oder?«
Aristoteles lachte. » Das kommt drauf an. Bei Platon hast du sicher recht. Er befaßt sich lieber mit dem freien Flug seiner Gedanken als mit Tatsachen. Und wenn er reist, dann möglichst zu Orten, die so sind wie Athen. Zweimal war er in Syrakus, aber Sizilien ist im östlichen Teil doch nichts anderes als ein weiteres Hellas. Dort konnte er dem Tyrannen Dionysios schmeicheln und ihm undurchführbare Vorschläge für die Errichtung eines Nachtmahrstaats machen, gegen Gold und Lob. Vielleicht…«
Aristoteles zog den Kopf ein, um nicht von einem niedrigen Ast getroffen zu werden. Dann sprach er über andere Reisemöglichkeiten – Platon hätte ebensogut in den Westteil der Insel reisen können, der unter der klugen Herrschaft der westphönikischen Karchedonier [Karthager] stehe, wie überhaupt das westliche Meer und der Norden des unendlichen Libyen [Afrika]. Immerhin habe man von den Phönikern vor Jahrhunderten nicht nur den Handel, sondern auch die Schrift erlernt; zwar seien sie keine Hellenen, aber doch auch keine Barbaren, wie alle anderen außer vielleicht den Ägyptern und Babyloniern, von denen ihm zu wenig bekannt sei. Von einem weitgereisten korinthischen Händler, der mit Karchedon Geschäfte mache, habe er vieles über die Verfassung des Staats und die Verwaltung der Westphöniker erfahren, und all dies sei bedenkenswert für einen, der sich mit Dingen wie Staatsphilosophie befasse.
» Bevor ich also dummes Zeug denke, rede und schreibe, will ich mich ein wenig umschauen. Ich weiß nicht, ob ich je nach Babylon oder Karchedon gelange; Reisen kosten mehr Geld, als ich besitze. Aber es ergab sich, wiederum durch diesen Korinther, die Möglichkeit einer Reise in den Norden, nach Illyrien und weiter.«
» Wie heißt er, dieser Korinther?«
» Demaratos. Warum?«
Parmenion nickte langsam. » Hab ich mir gedacht. Ich kenne ihn. Ein kluger, gerissener Mann– etwa so alt wie ich, sehnig, dunkles Haar, dunkler Bart, stechende Augen?«
» Der ist es. Woher kennst du ihn?«
» Als Philipp Geisel in Theben war, im Haus des Pammenes, war dort auch Demaratos gelegentlich zu Gast, wenn er in Theben, oder Boiotien allgemein, Geschäfte hatte. Er ist ja um die fünfzehn Jahre älter als Philipp, aber die beiden haben sich sehr gut verstanden. In den letzten Jahren war er einige Male in Pella. Er hatte für beide Seiten förderliche Vorschläge zur Neugestaltung des Handels.«
» Das denke ich mir. Er hat immer solche Vorschläge, die vor allem seinen Umsatz fördern.«
Aristoteles berichtete von der Begegnung mit Demaratos, der einen Händlerzug nach Thessalien begleiten wollte, dem der junge Mann, des trockenen Denkens überdrüssig, sich anschloß. In Thessalien ergab sich die Möglichkeit, mit einem anderen Zug über die Berge nach Epeiros zu gehen, von dort mit einem dritten nach Illyrien. Er hatte alles verfügbare Geld in eine Mischung aus Nützlichem und Unfug gesteckt: Messer, Sägeblätter, Pfeilspitzen und Kurzschwertklingen einerseits, bunte Figuren und Schmuck aus farbigem Glas andererseits. Ein Karren und zwei Maultiere sowie die nötige Ausrüstung mit Decken und Vorräten verschlangen den Rest des Vermögens. Sie waren durch Illyrien gezogen, bis hinauf zu dem Strom, dessen Unterlauf die Hellenen Istros nannten, der bei den Kelten des Nordens Danoubis hieß. Sie hatten gehandelt, getauscht, gefeilscht, oft unter Lebensgefahr, weil ihre wilden Geschäftsfreunde Mißfallen über unzureichende Angebote ausdrückten, indem sie zum Schwert griffen oder mit dem Kampfbeil fuchtelten. Neben Rohmetall in Finger- oder Luppenform tauschten sie vor allem Felle ein– Bär, Iltis, Zobel, Marder, Luchs– und Schmuckgegenstände aus Knochen und Zähnen großer Tiere. In einem winzigen Hafen am nördlichen Ende des Meers, das Illyrien und Italien trennt, fand Aristoteles jenen zum Händler gewordenen ehemaligen Seemann, dem er den Winter mit Gesprächen verkürzte und der, als er im Frühjahr starb, ihm nicht nur das Amulett hinterließ, sondern auch zwei Frauen, drei Sklaven, Münzen und einen in langen Jahren angehäuften Bernsteinschatz. Die Frauen gab Aristoteles frei, die Sklaven verkaufte er, den Bernstein und die Münzen nahm er mit.
» In Hellas
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