Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
wird das, was ich zurückbringe, sechs- oder siebenmal den Wert dessen haben, was ich dafür einsetzen mußte. Ich werde einige Jahre in Athen leben und forschen können, Parmenion. Aber andere Dinge sind wichtiger.«
Der Makedone lächelte nachdenklich. » Was? Die Ströme, die Ebenen, die Wälder, die Barbaren?«
» Dies, ja; und die Alpenberge. Vor allem aber Kenntnisse und Erfahrungen. Ich habe gehungert und gedürstet, um mein Leben gekämpft, Feinde und Raubtiere getötet, ich habe gefroren, ich habe gesehen, wie ein breiter Strom zu Eis wurde, wie trügerisch Eis ist und wie zerbrechlich der Mensch. Ich reise leichter– die Felle habe ich den anderen Händlern überlassen, gegen Münzen und Bernstein, ebenso das Metall. Was ich besitze, paßt auf Drakons Karren. Was nicht auf Drakons Karren, sondern in meinen Gedanken ist, nimmt weit mehr Raum ein und hat mehr Gewicht.«
Sie ritten eine Weile schweigend nebeneinander her; irgendwann sagte Parmenion halblaut:
» Willst du den Rest hören? Es wäre aber nicht für die Akademie, auch nicht für deine Rollen.«
Aristoteles kniff ein Auge zu. » Ich will mich von Drakon unterrichten lassen, was die Heilpflanzen hier oben angeht. Wenn ich seine Lehren aufgeschrieben habe, wird auf den Rollen kein Platz mehr sein.– Wir waren bei Perdikkas stehengeblieben, gestern.«
» Perdikkas hatte Glück. Und Unglück. Die lynkestische Hexe, seine Mutter: Wie eine feiste alte Spinne hat sie im Palast gehockt und Netze verfertigt. Sie wollte immer noch herrschen.« Er seufzte tief. Dann berichtete er von der Mühsal: viereinhalb Jahre Arbeit, um die Grundlagen für eine andere Zukunft zu schaffen. Perdikkas und Antipatros tüftelten verwickelte Verträge aus; es gelang ihnen, Theben und Thessalien so weit miteinander und gegeneinander und mit Athen, Olynth und Amphipolis zu verknüpfen, daß Makedonien eine Atempause erhielt und die edlen Geiseln aus Theben heimholen konnte. Philipp, damals noch keine neunzehn Jahre alt, wurde von Perdikkas vor allem als Botschafter eingesetzt, wegen seiner hellenischen Erziehung, seiner Bildung, seiner guten Beziehungen zu Männern, die er in den fast vier Jahren in Theben getroffen hatte. Teils allein, teils mit Antipatros reiste er durch Hellas, durch Thrakien, durch Epeiros, durch die Grenzlande; er verhandelte mit Ratsherren, Archonten, Fürsten, Königen, lernte viel und prägte sich wichtige Dinge ein– Straßen, Befestigungen, Vorratslager. Und Männer, deren Freundschaft sich irgendwann einmal zum Vorteil Makedoniens nutzen lassen würde. In dieser Zeit ordnete Perdikkas das Chaos der makedonischen Verwaltung, setzte Beamte ein, bestrafte bestechliche Rechtsverweser, holte die Gebietsfürsten, einen nach dem anderen, an den Hof, um eine Art Gleichgewicht zwischen der Ohnmacht des Königs und der Übermacht der Gebietsherren zu erwirken. Er vermählte sich mit einer Frau aus der Elimiotis, die sich von der scheinbar umgänglich gewordenen Mutter Eurydike einwickeln ließ. Und Parmenion versuchte, aus widerwillig– wenn überhaupt– einrückenden Fürsten und Fürstensöhnen, angeblich Gefährten des Königs, eine kampfkräftige Hetairenreiterei zu machen und aus mutlosen, ausgebeuteten Bauern und Städtern ein zuverlässiges Fußvolk.
» Wir waren ja nur zu viert, mit Philipp. Viele, die Befehle hintertreiben konnten, standen gegen uns. Stehen noch immer– aber nicht mehr lange.« Parmenion sagte es mit einer grimmigen Gelassenheit, die frei war von Haß oder Freude.
» Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, keine großen Staaten zu haben, sondern nur Städte, ein Netzwerk von Städten. Dieser Wirrwarr… Ist nicht Athen doch die sinnvollere Lösung?«
Der Stratege schnaubte. » Athen hat Makedoniens Handel bestimmt; Athen hat uns lange sowohl den Bau von Schiffen verboten als auch die Ausfuhr von Schiffbauholz und Pech– außer nach Athen. Persien verbietet Athen, die Flotte zu vergrößern. Athen mauschelt mit dem Thrakerkönig Kotys, um Amphipolis zu erpressen, und wenn Kotys nicht mitspielt, rüstet Athen die Stadt Olynth und den Chalkidischen Bund auf, gegen Thrakien und Amphipolis und uns. Sag mir, wie soll die kleine Stadt Pella all die Dörfer Makedoniens schützen, gegen Barbaren und Athener, wenn es da einen Unterschied gibt?«
» Ich werde es Platon weitersagen. Natürlich hast du recht; ich frage mich rein theoretisch.«
Parmenion breitete die Arme aus; sein Hengst tänzelte. » Frag dich immerzu, Junge.
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