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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Schwert. » Philipp hat gesagt: › Was ich von der Welt halte? Nicht viel. Wir werden da einiges ändern.‹«

3 .
    Das Eine und die Vielen
    » Laß uns, ehe wir mit den großen Dingen fortfahren, einige kleine bedenken, die nicht minder wichtig sind.« Aristoteles hob die Hand zum Kopf, kratzte sich das rechte Ohr außen und innen, betrachtete den Fingernagel und strich ihn an der Decke ab. » Zwei Namen, die du kennst, ehe wir uns wieder den Großen zuwenden, die jeder kennt. Emes und Dymas.«
    Peukestas beugte sich vor. » Emes der Starke, jener Hypaspist, der aufstand und gegen Alexander sprach, als der König die altgedienten Kämpfer heimschicken wollte? Dymas der Sänger und Kitharist? Du kennst sie? Was haben sie mit der großen Erzählung zu tun?«
    Aristoteles schwieg; seine Nase kräuselte sich, er ließ die Nasenflügel beben. » Platon war im Grunde ein Mystiker«, sagte er zögernd. » Er hat versucht, das Eine zu erfassen und daraus die Vielen zu erklären. Ich habe immer die Vielen begreifen wollen, um irgendwann festzustellen, ob es hinter allen, in allen oder vor allen das Eine gibt, und nun sterbe ich, ohne dorthin gelangt zu sein. Die Mysterien, alle Mysterien berichten von dem Einen, das wir alle einmal waren, ehe wir zu Vielen wurden– dem Einen, in das wir alle unausgesetzt heimkehren möchten, um die Spaltung aufzuheben und wieder Alles zu sein. Aber dieses Streben ist unmöglich, solange wir leben, und was nach dem Tod geschieht, sollte nicht Gegenstand des Denkens sein. Hier, im Leben, ist die Vielfalt unendlich bedeutender als die Einheit. Es ist die lichte Vielfalt von Hellas, die uns von der dunklen Einheit der Barbaren trennt, in der alle Dinge eines sind.
    Deshalb müssen wir die Vielen bedenken, Peukestas, wenn du nicht vergebens nach den Spuren des Einen suchen willst, der für dich Alexander war.«
    » Aber…«
    Aristoteles schüttelte heftig den Kopf. » Kein Aber jetzt, Makedone; später wirst du verstehen, warum wir diesen Weg so gehen sollten und nicht anders. Laß uns von Emes reden und von Dymas. Emes hat mir sein frühes Leben erzählt, kurz vor dem Übergang nach Asien, daher weiß ich vieles. Dymas war immer schweigsam; was ihn angeht, sind wir auf Mutmaßungen angewiesen und können sein Bild ausmalen, wie es uns gefällt, solange die Wahrscheinlichkeit nicht verletzt wird. Danach wollen wir uns wieder Philipp zuwenden, und Olympias.«
    » Was weißt du von Emes? Gibt es da Wissenswertes?«
    » Der Spott des edlen Makedonen ist verfehlt, Peukestas. Das Schwert Alexanders bestand aus sehr viel Emes und sehr wenig Peukestas. Ich weiß, daß er einen älteren Bruder hatte. Er ging mit Parmenion. Es gab eine Schwester; sie war neun, als Emes sieben wurde, und sie hütete in den Bergen die Schafe der Familie. Phlebas, der dem Dorf helfen sollte, konnte nicht alles auf einmal verändern; zu den Dingen, die unverändert blieben, gehörten Krankheiten und gewisse Einstellungen.
    Als Emes sieben Jahre wurde, gebar die Mutter eine weitere Tochter; man reichte ihr das Kind, aber sie wandte das Gesicht ab. Der Vater nahm das Neugeborene und ging durchs Dorf, um zu sehen, ob jemand es haben und stillen wollte, aber er fand keine Amme, keine Mutter, keine Familie. Da wickelte er das Kind fest in ein Tuch, steckte das Bündel in einen Beutel, zusammen mit hartem Brot und ein wenig Käse, und hängte alles um Emes’ Schulter. Den Jungen schickte er los, in die Berge, eineinhalb Tagesmärsche entfernt, um die Schwester beim Schafhüten abzulösen. Außer dem Beutel trug Emes nur seine Kleider– Schurz und Umhang–, ein Messer und eine Schleuder; er ging barfuß und gehorsam los und bedauerte das weinende Kind im Beutel, das er, den Befehlen des Vaters gemäß, an einer bestimmten Weggabelung in den Bergen zurückließ, für die Götter oder die Tiere.
    Emes sah die Schwester, aber sie sah ihn nie mehr. Sie war in den steilen Bergen gestürzt und hatte sich etwas gebrochen, vermutlich ein Bein. Emes erkannte sie an den roten Bändern, die den Schurz hielten. Das Gesicht und die großen schwarzen Augen hatten Krähen getilgt, Ameisen und Würmer den größten Teil des Körpers.
    Emes begrub sie, so gut er konnte. Er zählte die Schafe, aß Käse und Brot und Beeren, trank Wasser aus den Quellen und Bächen; mit der Schleuder und mit flachen Steinen, die er treffsicher werfen konnte, erlegte er manchmal einen Vogel oder einen Hasen. Er nahm die Tiere aus und briet sie über Feuer, das

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