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Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands

Titel: Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Türmen im Abstand von achtzig Schritt, mit Katapulten und Pechöfen und Waffenkammern. Dahinter zwei Reihen von Stallungen übereinander und Unterkünfte für die Kämpfer– für zwanzigtausend Fußkrieger, viertausend Reiter, viertausend Pferde.
    Dann die Stadt, die größte und reichste der gesamten Oikumene. Sie betäubte Dymas, sie überforderte seine Wahrnehmung. Er sah die karchedonischen Offiziere an der Mauer, die kleine Söldnertruppe– Hellenen, Sikelioten, Kreter, Ägypter, Illyrer, Libyer, helle Gesichter, braune Gesichter, schwarze Gesichter– und die schweren Tore; er sah die Straßen und die Häuser und die Höfe voller Hühner, am Straßenrand einen Käfig mit gemästeten Hunden, Wasserverkäufer und Frauen mit Krügen; er sah Karchedonier in langen Wollgewändern und halbnackte Sklaven und zahllose heimisch gewordene Fremde, darunter viele Hellenen; er roch tausend Tiere und Menschenschweiß und den Duft der Frauen der Reichen und Gewürze und Feuerstellen und Küchen; aber er nahm eigentlich nichts von alledem wahr. Zu viel, zu bunt, zu heftig waren all die Einzelheiten, die das Ganze der großen Stadt ausmachten, einschließlich der Vorstädte fünfhunderttausend Menschen. Als sie über die Agora ritten, starrte er das Ratsgebäude an und die anderen Häuser, die es umstanden, hohe alte Häuser mit vielen Farben und Runzeln und Augen, und er dachte an die fast vergessene, schäbige kleine Agora von Herakleia. Sie ritten nach Norden, vorbei am Byrsa-Hügel, durch das Tor einer inneren Maueranlage, hinaus ins nördliche Vorland zwischen Stadt und Meer, die Megara, wo alte Herrenhäuser, Güter und Paläste hinter Mauern und Hecken standen, gleißend weiß im Nachmittagslicht oder mild und entrückt im Schatten der Zedern und Zypressen. Hier atmete Dymas auf.
    Einen Teil der beiden nächsten Jahre verbrachte er im Handwerkerflügel des großen alten Hauses, in dem Adherbal sich bei seiner Familie aufhielt, wenn ihn nicht Geschäfte oder Politik in die Stadt oder in die Ferne holten. Es gab eine Frau, eine stolze, abweisende Gestalt in kostbaren Gewändern, und es gab zwei Söhne und eine Tochter, aber sie alle gab es eigentlich nicht, sie waren weit fort, am Rand der Sichtweite. Es gab an die dreihundert Diener, Sklaven, Landarbeiter und Handwerker, die auf den Feldern, in den Gärten, Ställen, Küchen und Werkstätten zu tun hatten; mit ihnen mußte Dymas auskommen, und bis auf die üblichen Reibereien gelang dies auch.
    Der Verwalter, ein Karchedonier namens Hiram, schien Vielseitigkeit zu schätzen und Gefühle zu verschmähen. Er mochte an die fünfzig Jahre alt sein; Haar und Bart waren grau, an der linken Hand fehlten die beiden kleineren Finger, und einmal, als er sich in Dymas’ Anwesenheit für ein Fest umkleidete, sah der Junge die furchtbaren Narben auf Brust und Bauch, die aus einer lange zurückliegenden Schlacht zu stammen schienen. Er setzte Dymas nahezu überall ein, mit der einem Sklaven gegenüber ungewöhnlichen Höflichkeit einer Begründung, wenn auch nur gemurmelt: » Mal sehen, wozu du am besten taugst. Und was dich kräftig macht.«
    Adherbals Landbau diente nur der eigenen Versorgung und war nicht Teil der vielfältigen Geschäfte. Dymas arbeitete, wie schon auf dem ersten Gut, mit Händen, Hacke, Schaufel, Sichel, Sense; er lernte, welche Obstsorten durch Aufpfropfen verbessert werden konnten; wie man durch Entfernen der Blätter und Stengel vor der Kelter leichteren, helleren Wein erzeugte und durch die Verwendung angefaulter oder überreif angeschrumpelter Beeren einen besonders schweren süßen Trank; als er zwölf Jahre alt war, durfte er Pferde zureiten. Jeden zweiten oder dritten Tag holte Hiram ihn in die Verwaltungsräume und ließ ihn Listen schreiben, Zahlen berechnen und zusammenstellen, die Rollen und Wachstäfelchen des Archivs ordnen, Preise und Verkaufswerte von Waren auswendig lernen. Er mußte Rinder, Schafe, Ziegen und Hunde schlachten, bei der Zubereitung helfen, Garzeiten und Gewürze unterscheiden. Schafsdärme, aus denen er Saiten für die Lyra machen wollte, nahm er mit in die Holzwerkstatt, in der er den größten Teil seiner Arbeitszeit verbrachte.
    Sie wurde geleitet von einem Perser, der nicht Sklave, sondern bezahlter Vorarbeiter und Handwerksmeister war, etwa vierzig Jahre alt. Er war klein und hatte schlechte Augen, die nur nahe Dinge sahen, deshalb arbeitete er immer gebückt; er klagte oft über den Kopf und den Rücken. Alles, was der

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