Alexander - der Roman der Einigung Griechenlands
außer für echte Karchedonier. An allen anderen Seiten sind Tore; Sklaven können in die Stadt und hinaus, wenn sie einen Auftrag ihres Besitzers nachweisen. Alle anderen…« Sie machte eine Bewegung, als schnitte sie mit der Handkante Gras. » Aber du? Du kannst fortlaufen, Dymas. Du kannst als Handwerker arbeiten, als Musiker; du kannst schreiben und rechnen, beherrschst eine Reihe Sprachen. Und du bist stark genug.«
» Bin ich das? Ich bilde es mir ein, aber dann zweifle ich. Wie gut ist die Musik, die ich mache? Ich habe nie richtige Musiker gehört.«
Sie legte die Hand auf seine Brust. » Die Tore sind bewacht, aber man kann über Zäune, Mauern und Hecken steigen. Wir verraten dich nicht. Es ist nur schwierig, weit genug zu kommen.«
Er nickte; insgeheim hatte er die Möglichkeiten längst begrübelt. Und bezweifelte den Sinn. Eine Flucht, etwa um Mitternacht, mochte gelingen; er würde, da die Seemauer nur wenige kleine, scharf bewachte Tore hatte und unmittelbar am Gestade des Meeres endete, zur Stadt gehen oder laufen müssen. Nachts waren dort die Tore geschlossen; wenn er Glück hatte und seine Flucht nicht früher entdeckt wurde, konnte er bei Sonnenaufgang in die Hauptstadt gehen; man würde ihn nicht festhalten, da er kein Brandmal trug. Und dann? Im Lauf des Morgens mußte sein Fehlen auffallen; Hiram würde einen Reiter zur Stadt schicken, die zu groß war, als daß Dymas sie bis dahin bereits hätte durchqueren und verlassen können. Sie würden ihn fangen, an einem der anderen Tore: vor dem Hafen, an der Großen Landmauer, irgendwo. Es mußte eine andere, bessere Möglichkeit geben.
An einem Frühlingsabend richtete einer der Haussklaven ihm aus, Hiram wolle ihn sprechen. Der Verwalter hielt sich jenseits der Stallungen auf, in denen die besten und teuersten Tiere von Adherbals Zucht standen.
Adherbal war bei ihm; er betrachtete einen hellbraunen Hengst, den ein Stallknecht auf der eingezäunten Weide herumführte; Hiram stand neben ihm, an einen Pfosten gelehnt. Er warf Dymas einen gleichgültigen Blick zu und wandte sich ab, zur Weide.
Adherbal schaute über die Schulter; seine Augen waren eisig und schienen Dymas innen wie außen in einem Moment zu erfassen.
» Der Hengst hat einen guten Kopf, nicht wahr, Hellene?« sagte er auf Phönikisch. Dann, auf Persisch: » Die Brandzeichen sind unscharf, verglichen damit.« Er wechselte ins Hellenische: » Solltest du fliehen wollen, nimm mit, was der Perser für dich zurückgelegt hat, deinen Anteil an den feinen Holzarbeiten. Besser wäre es aber, du hättest noch einige Monde Geduld. Geh.«
Verblüfft und verwirrt stolperte Dymas fort. Er hütete sich jedoch, mit dem Perser zu sprechen. Ob Adherbal Gedanken lesen konnte? Niemand außer der Ägypterin wußte etwas, und sie bestritt empört, jemandem etwas verraten zu haben.
Dymas stellte den freien Handwerkern vorsichtige Fragen. Nach und nach änderte sich für ihn das Bild des reichen Handelsherrn Adherbal, der Gewinne machte und Pferde züchtete. Er erfuhr von geheimnisvollen Besuchen, oft nachts, wenn eigentlich niemand unterwegs sein sollte; er hörte von langen Abwesenheiten Adherbals, die keinem auffielen, weil man ihn ohnehin kaum je sah; der Schmied, der die Waffen des Karchedoniers herstellte, behauptete, mit dem, was in den letzten fünf Jahren entstanden sei, ließen sich mehrere Hundertschaften ausrüsten. Und Adherbal gehörte dem Rat der Stadt an.
Die Aufklärung kam nicht vollständig, aber deutlich genug, und sie ging einher mit der größten Umwälzung in Dymas’ Leben. An einem Sommertag traf ein offenbar hochstehender Gast ein, mit zehn Reitern als Geleit. Er war sehnig, schwarzhaarig, trug die Kleidung eines edlen Karchedoniers, schien aber ein Fremder zu sein, vielleicht Sikeliot oder gar echter Hellene aus Hellas.
Die Reiter kehrten zur Stadt zurück, ohne mit jemandem gesprochen zu haben; der Fremde schien also länger zu bleiben. Küchensklaven berichteten von einem nicht üppigen Mittagessen und Vorbereitungen für ein feines Abendmahl; sie sagten, der Fremde sei Hellene, aus Korinth, ein Handelsherr, und er heiße Demaratos.
Abends sahen sie von fern, wie auf der weiten, überdachten Terrasse des Palastes gefeiert wurde– Adherbal, seine Frau, der Gast und Hiram nahmen teil, dazu etliche Karchedonier, die im Lauf des Nachmittags aus anderen Palästen der Megara oder aus der Stadt selbst gekommen waren. Am nächsten Morgen erschien der Fremde, zusammen mit
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