Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Gemüse«.
Runkel brauchte einige Sekunden zum Nachrechnen. Dann nickte er.
»Mehr hab ich bisher nicht rausfinden können. Die Frauen in diesen Touripuffs wechseln ziemlich oft. Manche lassen sich von einem Kunden heiraten, andere fangen sich irgendwas ein und müssen in ihr Dorf zurück. Manche kriegen auch die Kurve und finden einen anderen Job. Die gehen dann nach Hongkong oder in die Arabischen Emirate und arbeiten da für ein paar Kröten am Tag als Putzfrau.«
Putzfrau. Was irritierte mich an diesem Wort? Iva, natürlich. Ich lehnte mich in meinem bequemen Chefsessel zurück und nahm die Brille ab. Es war nicht nur Iva. Da war irgendetwas mit dem Abend in der Susibar. Eine Erinnerung, die es einfach nicht an die Oberfläche schaffte.
»Das ist ja alles schön und gut«, sagte ich. »Aber was bringt uns das Ganze? Jörgensen ist aus dem Rennen.«
»Ja. Schon.« Frustriert faltete Runkel seinen Zettel immer kleiner zusammen. »Aber sehen Sie mal, seine Frau kriegt ein Kind, und der Dreckskerl treibt’s währenddessen mit minderjährigen Nutten. Er wird Vater und hält’s nicht mal für nötig, wenigstens ein paar Tage heimzukommen. Das finde ich zum Kotzen, ehrlich gesagt.«
»Wir können Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie ihre Kinder nicht liebhaben.« Ich setzte meine Brille auf und nahm demonstrativ irgendein Papier vom Schreibtisch. »Und außerdem: Besser ein Vater, der nichts taugt, als gar keiner.«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, murmelte Runkel unzufrieden. »Da bin ich mir wirklich nicht so sicher.«
27
Auch Theresa hatte schlechte Laune an diesem Abend. Das kam hin und wieder vor, und wir nannten das Phänomen ihren »schwarzen Tag«. Der Sekt schmeckte ihr nicht, über nichts konnte sie lachen, meinen Zärtlichkeiten wich sie aus.
»Wozu bist du überhaupt gekommen?«, fragte ich schließlich und leerte mein Glas.
»Weil ich dich sehen wollte.«
»Und wozu, bitteschön, wenn du nur hier herumsitzt und deine Fingernägel begutachtest? Du siehst mich ja gar nicht.«
»Ich weiß nicht. Jetzt, wo ich bei dir bin, weiß ich es eben nicht mehr.«
Ich rückte ein wenig näher und nahm ihr das halb geleerte Glas aus der Hand. Immerhin ließ sie es zu, dass ich meinen Arm um ihre Schulter legte.
»Gewissensbisse?«
Es kam hin und wieder vor, dass Theresa, die sich sonst mit größter Selbstverständlichkeit nahm, was ihr das Leben ihrer Meinung nach schuldig war, von Zweifeln überfallen wurde. Dass sie sich plötzlich fragte, ob sie ihrem Mann antun durfte, was sie tat. Was sie wohl denken und fühlen würde, wäre es umgekehrt.
Was man als untreue Ehefrau eben so denkt, wenn sich schlechtes Gewissen mit schlechter Laune paart.
Sie drehte den Kopf und küsste mich aufs Ohr. Dann zündete sie sich die vierte Zigarette des Abends an und studierte die Form der Rauchkringel. Ich füllte die Gläser wieder.
»Manchmal habe ich das Gefühl, du siehst in mir nichts als ein Sexobjekt«, murmelte sie irgendwann.
Ich glaubte, mich verhört zu haben. »Soll das ein Witz sein?«
Sie sah mich böse an. »Du triffst mich nur, um mit mir zu schlafen.«
»Du erwartest jetzt hoffentlich nicht, dass ich dir irgendwas von Liebe meines Lebens und ewigem Glück vorsäusele?«
»Weshalb nicht?«
»Weil du mich normalerweise schlägst, wenn ich solche Sachen sage.«
Sie lächelte traurig, aber immerhin, sie lächelte. »Es gibt Tage im Leben einer Frau, da braucht sie das.«
»Okay«, brummte ich, »ich liebe dich über alles. Mindestens.«
»Du bist so ein schrecklicher Idiot«, sagte sie zärtlich und legte ihre Hand auf meinen Oberschenkel.
»Was ist das überhaupt in deinen Augen, Liebe?«
Sie sah zur Decke und schwieg einige Sekunden. Unser Saxofonspieler schien heute leider Ausgang zu haben. Von der Straße hörte man junge Stimmen diskutieren.
»Liebe«, sagte Theresa schließlich, »ist nichts für den Kopf, sondern für den Bauch. Es ist wie mit komplizierten Tanzschritten: Sobald man anfängt, darüber nachzudenken, funktioniert es nicht mehr.«
»Hm.«
»Weißt du eine bessere Definition?«
»Schlag nach bei Goethe«, sagte ich und zitierte aus dem Gedächtnis: »Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür! Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch.«
»Weißt du, was die gute Viola zu diesem Punkt mal gesagt hat?«
»Ich werde es vermutlich gleich erfahren.«
»Damals war sie noch ziemlich frisch verheiratet. Aber ihr Thorsten hatte sich im Bett
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