Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
einkaufen.
Die Zwillinge schliefen immer noch.
8
Gundram Sanders Eltern hatten offenbar den Bogen überspannt. Die Stimmung hatte gedreht, und plötzlich wurde alles, was sie sagten, von den Medien zu ihren Ungunsten interpretiert. Obwohl die Aussage des immer noch unbekannten Zeugen die beiden entlastete, wurden – selbstverständlich zwischen den Zeilen und an den richtigen Stellen mit Fragezeichen versehen – ständig neue Hypothesen und Verdachtsmomente konstruiert. Das verschaffte mir und meinen Leuten für die nächsten Tage Luft. Es war jedoch nur eine Frage der Zeit, bis die öffentliche Meinung sich wieder gegen uns wenden würde.
»Falls das wirklich stimmt.« Balke war wieder einmal schon am Morgen müde. Aber wer war das am Montag nicht? »Falls der Typ hier angerufen hat, dann ist er definitiv nicht über die Zentrale gegangen. Er muss eine Durchwahlnummer benutzt haben, sonst hätten wir ihn.«
»Wir sind auch die Besucherlisten des Pförtners durchgegangen und haben alle infrage kommenden Personen kontaktiert«, erklärte Vangelis, die heute ungewohnt nervös wirkte. »Der mysteriöse Zeuge ist auch nicht persönlich hier aufgekreuzt.«
»Und Sie haben jeden gefragt, der an dem Tag Dienst hatte?«
»Jeden.«
»Außer Rübe natürlich«, schränkte Balke ein. »Der ist in Urlaub und hat kein Handy.«
Rübe, das war Rolf Runkel. Obwohl über fünfzig, war er immer noch Oberkommissar und, wie Balke es ausdrückte, schon kurz nach der Stadtgründung zur Heidelberger Kripo gestoßen.
»Weiß jemand, wo Herr Runkel sich aufhält?«
Runkel musste unbedingt befragt werden. Ihm traute ich ohne Weiteres zu, eine wichtige Aussage falsch abzuheften oder versehentlich in den Aktenvernichter zu stopfen. Selbst Aufgaben, bei denen man nach menschlichem Ermessen nichts falsch machen konnte, war er imstande, spektakulär zu vermasseln. Erst vor wenigen Wochen hatte er zum Beispiel einen Taschendieb entkommen lassen, weil er plötzlich niesen musste und dabei die Handschellen fallen ließ. Jeder Mensch muss hin und wieder niesen. Nur Runkel musste es zuverlässig im falschen Moment. Die Handschellen hatte der Taschendieb übrigens mitgehen lassen.
»Irgendwo in Südbaden, soweit ich weiß.« Balke gähnte schon wieder. »Ich glaube, er bleibt noch fast zwei Wochen da.«
Theresa klang in ihrer Morgen-SMS nicht übermäßig enttäuscht über meinen Misserfolg bei der Wohnungssuche. Sie selbst hatte offenbar auch ein wenig gesucht und war ebenfalls nicht fündig geworden. »Wird schon«, schrieb sie optimistisch, »das Glück ist mit den Liebenden.«
Eine knappe halbe Stunde später klingelte mein Telefon.
»Der Herr Runkel«, erklärte Sönnchen knapp und stellte durch. Die beiden konnten sich nicht leiden, hatte ich kürzlich zu meiner Verwunderung erfahren. Vor langer Zeit war man einmal in irgendeiner Sache verschiedener Meinung gewesen, und seither beschränkte sich die Kommunikation auf das Nötigste. Nie hätte ich gedacht, dass meine Sekretärin mit dem großen Herzen einen Menschen nicht mögen könnte.
»Sie wissen, worum es geht?«, fragte ich, als ich Runkels empörtes Schnaufen hörte.
»Irgendeine Aussage, die keiner finden kann.« Balke hatte ihn offenbar schon aufgeklärt. »Aber wieso kommen Sie ausgerechnet auf mich?«
»Wir haben jeden im Haus gefragt. Irgendwer muss ja damals mit dem Mann telefoniert haben. Und außer Ihnen ist keiner mehr übrig.«
»Mit mir hat der nicht telefoniert. An dem Montag bin ich sowieso die meiste Zeit in Sandhausen gewesen und hab Spuren gesucht. Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern. Wir haben geschwitzt wie die Schweine, wie wir da im Wald rumgestiefelt sind.«
»Wie ist Ihr Urlaub?«, fragte ich, um die Stimmung ein wenig aufzulockern. »Über das Wetter können Sie ja bisher nicht klagen, oder?«
Die Antwort klang nicht gerade euphorisch: »Also, mir gefällt’s schon hier im Markgräflerland. Man kann ein bisschen wandern, und es gibt viele schöne Wirtschaften. Aber die Mahsuri, die läuft halt nicht so gern. Und Wein mag sie auch keinen. Aber die Frauen sollen ja sowieso keinen Alkohol trinken, wenn sie schwanger sind.«
Runkel hatte erst vor wenigen Jahren geheiratet, eine ungewöhnlich umfangreiche und sagenhaft hässliche Philippinerin, hatte mir Balke einmal berichtet. Seither war das Ehepaar Runkel dabei, mit einer Geschwindigkeit Kinder in die Welt zu setzen, als wäre ihr Lebensziel ein Eintrag ins Buch der Rekorde.
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