Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
Theresas Lieblingszitaten aus »Der Fremde«. Meine Göttin würde angesichts der Miete vermutlich nur die Achseln zucken. Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie und hatte sich noch niemals in ihrem Leben ernsthafte Gedanken um Geld machen müssen. Schlimmstenfalls würde sie sich ein paar Dessous von Simone Pérèle weniger leisten.
»Okay«, hörte ich mich sagen. »Wie funktioniert das mit dem Vertrag?«
»Ich geb Ihnen die Nummer vom Vermieter. Da wäre dann nur noch die Ablöse für die Küche.«
Die hatte ich völlig vergessen.
»Ich musste die Küche extra anfertigen lassen. Hier geht ja nix mit Ikea bei den schrägen Wänden. Hat ein Schweinegeld gekostet. Und ist noch nicht mal ein Jahr alt.«
Das klang weniger gut. Es klingelte schon wieder an der Tür. Das klang erst recht nicht gut. »Wie viel?«
»Fünfzehntausend. Zwanzig hab ich selber gezahlt. Ich kann Ihnen die Belege zeigen.«
»Tut mir leid. Aber das übersteigt meine Möglichkeiten.«
»Ja dann«, meinte sie achselzuckend. »So sehen Sie eigentlich nicht aus. Aber Sie müssen’s ja wissen.«
Deprimiert schob ich mein Rad zurück in Richtung Weststadt. Die Souvenirbuden rund um die Heilig-Geist-Kirche machten gute Umsätze mit bayerischen Bierkrügen und original Schwarzwälder Kuckucksuhren. Die Sonne wärmte schon ein wenig.
»So sehen Sie eigentlich nicht aus«, hatte sie gesagt. Und hatte sie nicht recht? Gut, fünfzehntausend Euro waren eine Menge Geld für eine Kücheneinrichtung, die man nicht brauchte. Außerdem hatte die Frau nie und nimmer so viel für den Krempel bezahlt, Sonderanfertigung hin oder her.
Aber diese Aussicht! Theresa würde mir jauchzend um den Hals fallen. Wer hatte schon ein Liebesnest mit einem solchen Blick? Vor dem Perkeo saß eine Gruppe Chinesen und frühstückte, gut gelaunt schwatzend.
Andererseits: Wann hatten wir in Ingrids Wohnung zum letzten Mal aus dem Fenster gesehen? Wenn wir uns trafen, dann hatten wir gewöhnlich Besseres zu tun … Sollte ich anrufen und um Bedenkzeit bitten? Das Handy hatte ich dabei, den Zettel mit der Telefonnummer allerdings vorhin in der ersten Enttäuschung weggeworfen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob in einen Papierkorb oder auf die Straße.
Ich blieb stehen, machte kehrt, ging dann doch weiter und hatte endlich eine Idee. Kurz vor ihrem westlichen Ende lag an der Hauptstraße ein Büro der Rhein-Neckar-Zeitung, wo immer die aktuelle Ausgabe in den Fenstern hing. Meine Schritte beschleunigten sich von ganz allein, und fast hätte ich mich aufs Rad gesetzt. Aber Radfahren ist in der Heidelberger Flaniermeile verboten und wird polizeilich verfolgt.
Diese Hauptstraße schien heute noch viel länger zu sein als sonst. Zudem war sie am Samstagvormittag auch noch maßlos bevölkert. Ständig standen mir Menschen im Weg. Ein zierliches japanisches Ehepaar versuchte mit verzückter Miene, ein blondes, vielleicht zwölfjähriges Mädchen zu fotografieren. Die junge Eingeborene hielt jedoch beide Arme schützend vors Gesicht, war wohl schon zu oft abgelichtet worden und hatte keine Lust, in einem weiteren fernöstlichen Fotoalbum vertreten zu sein.
Das Geld würde ja nicht für alle Zeit weg sein, sondern lediglich keine Zinsen bringen. Wenn wir die Wohnung irgendwann aufgaben, dann würden wir die Ablösesumme mit ein wenig Glück vollständig zurückbekommen. Und was war schon Geld? Das Leben ist kurz, und seine Zeit mit Wohnungssuche zu verplempern bestimmt auch eine Sünde.
Endlich der blaue Schriftzug der Rhein-Neckar-Zeitung. Zum Glück herrschte gerade kein allzu großes Gedränge vor den Fenstern. Ich fand die Anzeige, tippte hastig die Nummer ins Handy und landete wieder einmal auf einer dieser verfluchten Voice-Boxen.
»Hier spricht das kleine Handy von Sandra Groß. Wenn Sie meiner mittelgroßen Herrin etwas zu sagen haben, dann können Sie das nach dem kleinen Pieps gerne tun …«
Beim siebten oder achten Versuch hörte ich plötzlich eine neue Ansage: »Falls Sie wegen der Wohnung anrufen – die ist weg. Sorry und viel Glück!«
Stark desillusioniert radelte ich nach Hause zurück. Inzwischen war es elf geworden. Ohne viel Hoffnung nahm ich mir die Zeitung noch einmal vor, aber alle weiteren Anrufe führten zum selben Ergebnis: Entweder die Wohnung war längst vermietet, oder ein Anrufbeantworter versprach baldigen Rückruf, der nicht erfolgte. Als die Uhr der Christuskirche zwölf schlug, gab ich mich für heute geschlagen und ging
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