Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
miserabler Laune heimgekommen. Worte wie »Altersheim«, »Grufti« und »Kindergarten« grummelnd, waren sie in ihrem Zimmer verschwunden. Dort setzten sie sich an ihren PC und taten Dinge, von denen sie mir wenig erzählten. Als ich um kurz nach zwölf schlafen ging, hörte ich sie immer noch kichern und beschloss, mit den beiden bei Gelegenheit ein ernstes Gespräch über die Gefahren des Internet zu führen.
Ich selbst war nur wenige Minuten vor ihnen nach Hause gekommen. Zuvor hatte ich mit Theresa zusammen gebührend Abschied von Ingrids Wohnung gefeiert. Es war ein schöner Abend geworden, voller rührseliger Erinnerungen und »weißt du noch?«.
»Was hättest du eigentlich gemacht«, wagte ich zum ersten Mal zu fragen, »wenn ich damals nicht gewollt hätte?«
»Wenn du was nicht gewollt hättest?« Meine Göttin gab sich heute begriffsstutzig.
»An unserem ersten Abend hast du mich in diese Wohnung gelotst, nachdem wir uns kaum mehr als eine halbe Stunde kannten. Und zwar mit dem eindeutigen Ziel, mich zu verführen.«
Theresa hatte mir lange und ernst in die Augen gesehen.
»Du hast mit jeder Faser deines Körpers gewollt. Das spürt man als Frau.«
»Aber wenn ich es im letzten Moment mit der Angst gekriegt hätte? Du wusstest, dass wir uns früher oder später über den Weg laufen würden.«
Sie strich mir zärtlich durchs Haar. »Dann hätte ich dich umgebracht. Und hinterher vielleicht auch mich.«
An jedem Teil der bescheidenen Einrichtung hing ein Stückchen Erinnerung. Als hätten wir Ewigkeiten in dieser kleinen Wohnung gelebt und nicht nur ein gutes Jahr lang hin und wieder einen Abend hier verbracht.
Später half ich Theresa beim Aufräumen. Ich hatte einen extragroßen Begrüßungsstrauß für die rechtmäßige Bewohnerin mitgebracht. Den drapierten wir so auf den Couchtisch, dass Ingrid ihn als Erstes sehen musste, wenn sie morgen von ihrem langen, für unseren Geschmack jedoch viel zu kurzen Auslandsaufenthalt zurückkehren würde.
Und schließlich hatten wir noch ein allerletztes Mal ihr Bett missbraucht. Dann waren wir ein klein wenig traurig auseinandergegangen, jeder in seine Richtung.
Jetzt, am Samstagmorgen, schliefen meine Töchter. Und das würden sie noch lange tun. Ich machte mir einen ersten Espresso, genoss die morgendliche Ruhe und das berauschende Gefühl, nichts zu tun zu haben, und überlegte, was ich morgen als Sonntagsessen kochen würde. Vor Wochen hatte ich mich an der Volkshochschule für einen Kurs zum Thema »Vegetarische Küche« angemeldet. Leider war es mir bisher erst ein einziges Mal gelungen, daran teilzunehmen. Meine Mädchen weigerten sich nach wie vor, tote Tiere zu essen, und es war nicht leicht, außer den immergleichen Spaghetti mit Tomatensoße, Gnocchi mit Pesto oder Gemüseburgern neue Gerichte zu entdecken, die ihnen schmeckten. Es ist gar nicht so einfach, zwei Vegetarier zu ernähren, die weder Salat noch Gemüse mögen.
Noch immer herrschte draußen herrliches Spätherbstwetter. Das bisschen Frühnebel löste sich schon während meines ausführlichen Frühstücks auf und machte der Oktobersonne Platz. Das Laub an den Bäumen leuchtete in allen Farben, die knusprigen Brötchen schmeckten, wie Frühstücksbrötchen am Wochenende zu schmecken haben. Später räumte ich gemütlich den Tisch ab, legte die Füße auf einen der freien Stühle und faltete die Zeitung auseinander.
Den Teil mit den Wohnungen fand ich ziemlich weit hinten, und das Angebot war überraschend groß. Entgegen anderslautenden Gerüchten schien es nicht weiter schwierig zu sein, in Heidelberg eine kleine Wohnung zu finden.
Helle Altbau-Traumwohnung über den Dächern der Altstadt ab sof. z.v. 1,5 ZKB, 17 qm, DG, 360,– kalt. Der Preis erschien mir ein wenig hoch, aber noch akzeptabel. Schließlich musste ich ja nur die Hälfte davon bezahlen.
Daneben eine Handynummer.
Da rief ich doch gleich mal an.
Einige Male war besetzt, anschließend war das Handy ausgeschaltet. Merkwürdige Idee, eine Wohnung zu inserieren und dann das Telefon nicht abzunehmen. Ich kringelte die Anzeige ein und suchte weiter.
Nachm. ges. f. lichtdurchfl. Traumwg. m. Traumblick auf Neckar u. Schloss, 2 ZKB, DG, 38 qm, Ablöse f. Küche VHS. Zweimal Traum ist besser als einmal Traum. Die Miete, vierhundertzwanzig Euro, war happig, aber vielleicht ließ man ja mit sich handeln. Wieder landete ich ungefähr zehnmal auf der Voice-Box. Aber dann, beim letzten Versuch, kam ich schließlich
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