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Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht

Titel: Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Burger
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sodass ich seine nächsten Worte nicht verstehen konnte. Wäre ich weitergegangen, hätte ich vom Rest nichts mehr mitbekommen und wüsste möglicherweise bis heute nicht, was aus Tim Jörgensen geworden war. Ich stellte jedoch plötzlich fest, dass der Knoten meines rechten Schnürsenkels sich gelockert hatte – ein weiterer Zufall –, und ging auf der Treppe in die Hocke.
    »Nein, Muttchen, ich kann am Wochenende wirklich unmöglich kommen … Sieh mal, ich sitze eine halbe Ewigkeit im Zug, und so wichtig ist der Geburtstag von Tante Thea ja nun auch wieder nicht …«
    Seine Stirn warf tiefe Sorgenfalten.
    »Muttchen, ich kann doch nichts dafür, dass Tante Elise nie mehr Zeit für dich hat, seit Papa tot ist … Soll ich sie vielleicht mal anrufen? … Na, siehst du.«
    Ich hörte die empörte Stimme der alten Frau noch aus fünf Schritten Entfernung. Balke war kurz davor, rot zu werden, und senkte die Stimme noch weiter. Dennoch verstand ich seinen nächsten Satz: »… und in ein paar Tagen ist ja auch Frau Jörgensen wieder gesund, und dann könnt ihr zwei beide endlich wieder zusammensitzen und Tee trinken und klönen, bis euch Bärte wachsen …«
    Mein Knoten war wieder fest. Ich richtete mich auf. Balke ging noch einige Schritte auf und ab. Dann hatte er seine einsame Mutter endlich halbwegs beruhigt und klappte das Handy mit einem abgrundtiefen Seufzer zu.
    »Leben Ihre Eltern noch?«, fragte er.
    »Sie erfreuen sich bester Gesundheit, danke.«
    »Da haben Sie Glück. Mutter ist seit drei Jahren allein, und wenn das so weitergeht, dann weiß ich auch nicht, wie das weitergehen soll.«
    »Wer ist Frau Jörgensen?«
    Verblüfft sah er mich an. »Eine Nachbarin. Die beiden kennen sich ungefähr seit der großen Flut im vierzehnten Jahrhundert.«
    »Wissen Sie zufällig, ob Frau Jörgensen einen Bruder hat?«
    »Schon.« Balkes Miene wurde mehr und mehr zum Fragezeichen. »Ich meine sogar, der ist irgendwo hier im Süden gelandet. Hat eine gute Partie gemacht, erzählt man sich im Dorf. Wenn ich mich richtig erinnere, dann hat er sozusagen eine Baufirma geheiratet.«
    Zwei Minuten und einen Anruf bei Balkes Mutter später wusste ich, dass es sich bei der Nachbarin tatsächlich um Tims Tante handelte. Helga Jörgensen lag, nachdem sie sich als rüstige Fußgängerin mit einem Reisebus angelegt und dabei den Kürzeren gezogen hatte, seit zwei Monaten in einem Bremer Krankenhaus. In den nächsten Tagen würde sie jedoch endlich wieder nach Hause dürfen. Eine zweite Schwester existierte nicht.
     
    Muriel Jörgensen war trotz ihrer Größe von fast eins achtzig eine zerbrechlich wirkende, nervöse Frau. Ihr Händedruck war flüchtig.
    »Ich komme wegen Tim«, sagte ich freundlich, während sie mit kritischem Blick meine Miene zu enträtseln versuchte.
    »Tim?«, fragte sie erstaunt. »Der ist nicht hier.«
    »Das ist ja auch der Grund, weshalb ich mich mit Ihnen unterhalten möchte.«
    Nach dem Gespräch mit Balke war ich sofort nach Handschuhsheim hinausgefahren, dem nördlichsten Teil Heidelbergs. Die Familie Jörgensen bewohnte ein großes, über die Jahre ein wenig heruntergekommenes Haus am westlichen Ortsrand. Das Grundstück war weitläufig, aber ungepflegt, und das ganze Anwesen kündete von vergangenem Wohlstand und mangelnder Freude an Gartenarbeit. In der Nachbarschaft hingegen glühten die Dahlien in der Herbstsonne.
    Zögernd reichte Tims Mutter mir die Visitenkarte zurück, machte jedoch keine Anstalten, mich ins Haus zu bitten. Für einen Moment meinte ich, verhaltene Angst in ihren grauen Augen flackern zu sehen. Aber vielleicht war es auch nur das unruhige Licht, das durch die Äste eines vom Wind bewegten, fast schon kahlen Baumes auf ihr schmales und blasses Gesicht fiel.
    »Ich verstehe nicht ganz …«
    Ich hatte beschlossen, mit offenen Karten zu spielen. Sicherlich gab es eine ganz einfache Erklärung für alles.
    »Sie brauchen nicht zu erschrecken. Ich bin nicht in amtlicher Mission hier. Ich mache mir nur ein wenig Sorgen um Ihren kleinen Sohn.«
    »Aber weshalb? Und woher wissen Sie überhaupt …?«
    »Wollen wir nicht lieber hineingehen? Es muss ja nicht jeder mithören.«
    Ihre Rechte tastete automatisch nach der verglasten Haustür mit Aluminiumrahmen, die im Gegensatz zum Rest des Hauses erst wenige Jahre alt zu sein schien.
    »Nein«, erwiderte sie fest. »Das möchte ich bitte nicht.«
    »Wie Sie meinen.« Ich zwang wieder ein Lächeln in mein Gesicht. »Frau Jörgensen, ich

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