Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
entfernt, die Wunde war inzwischen gut verheilt und kaum noch zu sehen. Vermutlich eine etwas andere Art von Phantomschmerzen.
»Eventuell hätte ich sogar was für Sie«, überlegte die Frau mit plötzlich verändertem Ton und reichte mir die Hand. »Übrigens: Marie von Heerfeldt.«
Sie führte mich in ihre atemberaubende Altbauwohnung, in der immer noch ununterbrochen das Telefon klingelte. Einige Wände waren herausgebrochen worden, sodass der Raum, in welchem wir uns niederließen, mindestens einhundert Quadratmeter maß. Es gab große Fenster sowohl nach Norden, mit Blick auf Neckar und Philosophenweg, als auch nach Süden zur Altstadt mit ihren Giebeln und Türmen. Über den Neuwert der Couchgarnitur, auf der wir saßen, mochte ich gar nicht nachdenken. Das Telefon schien allmählich heiser zu werden.
»Grappa, Sherry, Limoncello oder lieber einen anständigen Scotch?«
»Ein Kaffee wäre nicht schlecht auf den Schrecken.«
Minuten später standen zwei Cappuccini auf dem Designer-Couchtisch. Wie bestellt brach draußen die Sonne durch, um die Schöner-Wohnen-Atmosphäre komplett zu machen.
»Es ist nämlich so …« Frau von Heerfeldt rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und wirkte allmählich wieder ein wenig frischer. »Die Wohnung, an die ich denke, gehört Berti. Berti ist etwas exzentrisch und ein lieber Freund von mir. Das Haus liegt in Neuenheim drüben. Der Haken dabei ist: Berti hat ein großes Herz und seit Neuestem seinen Sinn für Kunst entdeckt.«
»Das klingt auf den ersten Blick nicht nach einem Problem.« Ich nippte an meinem brühheißen Kaffee.
»Ist es aber. Berti vermietet in diesem speziellen Fall nur an Künstler.«
»An Künstler«, wiederholte ich begriffsstutzig.
»Er besitzt eine Menge Häuser, und manchmal hat er eben ein bisschen ulkige Vorstellungen davon, wer drin wohnen soll. Auf Geld war Berti schon bei seiner Geburt nicht angewiesen. Er vermietet mehr so zum Vergnügen. Und bei diesem Haus in Neuenheim, da hat er eben diesen Spleen, dass dort eine Art Künstlerkolonie entstehen soll, als deren Mäzen er sich dann fühlen darf. Sie malen nicht zufällig ein bisschen? Oder spielen irgendein Instrument?«
»Die Wohnung ist eigentlich gar nicht für mich«, erwiderte ich lahm. Die Frau wusste, wer ich war. Wie sollte ich erklären, wozu ich eine Zweitwohnung brauchte? »Ich suche sie für eine … Bekannte.«
Mit plötzlichem Interesse sah sie mich an. »Und hat diese … Bekannte vielleicht eine künstlerische Ader?«
Theresa spielte Klavier, wusste ich, und zwar nicht einmal schlecht. Aber aus irgendeinem Grund, vielleicht, weil klavierspielende Mieter nicht überall gern gesehen sind, sagte ich: »Sie schreibt.« Schreiben machte keinen Lärm. Schreiben stank nicht nach Terpentin. Schreiben belästigte definitiv niemanden. Theresa würde mich vermutlich prügeln, sollte sie jemals erfahren, wie ich zu unserem neuen Liebesnest gekommen war. »Romane.«
Das Interesse meiner Gastgeberin wuchs mit jedem meiner Worte.
»Krimis etwa?«
»Nein, keine Krimis. Eher …«
Was sollte ich sagen? Die hohe Kunst passte nicht zu Theresas Wesen. Vielleicht historische Romane? Immerhin hatte sie ja Geschichte studiert.
»Ich fresse nämlich Krimis«, erklärte die Immobilienmaklerin strahlend. »Schreibt sie unter eigenem Namen oder unter Pseudonym? Kennt man Ihre Bekannte?«
»Sie steht noch am Anfang …« Ich hustete. »… ihrer Karriere. Aber es gibt ernsthaftes Interesse seitens eines großen Verlags.« Was redete ich da? Theresa würde mich nicht nur verprügeln, sondern anschließend auch noch vierteilen. »Und sie schreibt tatsächlich unter Pseudonym.«
»Warum? Ist doch keine Schande, Romane zu schreiben.«
»Es ist …« Nun saß ich da und konnte sehen, wie ich aus der selbst angerichteten Patsche wieder herauskam. »Sie …«
Ein Leuchten ging über Marie von Heerfeldts Gesicht.
»Sie schreibt Schmuddelkram, stimmt’s?«
»Schmuddel … Was?«
»Erotische Sachen.«
»So … könnte man es unter Umständen ausdrücken«, murmelte ich unglücklich. »Obwohl sie das Wort Schmuddelkram vermutlich nicht gerne hören würde im Zusammenhang mit ihrem Œuvre.«
»Wie süß!«, rief meine Gastgeberin begeistert. »Berti wird entzückt sein!«
»Wann könnten wir … äh … wann könnte meine Bekannte die Wohnung denn besichtigen?«
»Wenn Sie mögen, jetzt sofort«, erklärte sie fröhlich. »Wenn Sie mir Ihr Handy leihen, dann rufe ich Berti an, und falls
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