Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
angegeben, und so war es für mich eine Kleinigkeit, die zugehörige Adresse zu ermitteln. Wenn man den Vermieter nicht anrufen konnte, dann würde ich ihm eben persönlich auf den Pelz rücken. Dass man auf Wohnungssuche in Heidelberg nicht zimperlich oder gar höflich sein durfte, hatte inzwischen auch ich begriffen.
Das schon von außen prächtige Haus stand am südlichen Neckarufer. Ich lehnte mein Rad an einen Laternenpfahl, die schön geschnitzte Haustür stand weit offen, und im Treppenhaus schien eine Art Demonstration oder Volksaufstand stattzufinden. Alles stand voller aufgeregter, wild diskutierender und zumeist junger Menschen. Offenbar war ich nicht der Einzige, der die Anschrift zur Telefonnummer herausgefunden hatte. Ich hob meinen Dienstausweis über den Kopf, rief: »Polizei! Lassen Sie mich durch!« und drängelte mich rücksichtslos nach oben. Falls diese Wohnung wider Erwarten noch zu haben sein sollte, dann war klar, wer sie bekommen würde.
Im ersten Obergeschoss erwartete mich eine stinkwütende und teuer gekleidete aschblonde Dame mittleren Alters, die erfolglos versuchte, die anderen Interessenten abzuwimmeln. Ihr Haar trug sie zu einem üppigen Pferdeschwanz gebunden, eine Menge teuer aussehender Schmuck hing an Hals und Handgelenk.
»Polizei?«, lautete die atemlose Begrüßung. »Na super! Kommen Sie rein, und retten Sie mich!«
Noch einmal ging sie wie eine Furie auf meine Konkurrenten los. »Hauen Sie endlich ab«, schrie sie, »oder Sie werden sich heute Abend alle zusammen nicht mehr im Spiegel erkennen!«
Sie machte tatsächlich Anstalten, einem neben mir stehenden pickelgesichtigen Studenten mit ihren gefährlich scharfen Fingernägeln das Gesicht zu zerkratzen. Vielleicht war die Bezeichnung Dame doch ein wenig zu hoch gegriffen. Es gelang mir, sie rückwärts durch die Wohnungstür zu bugsieren und diese hinter mir zu schließen. Irgendwo klingelte pausenlos ein Telefon.
»So geht das schon seit heute Morgen um halb sieben«, stöhnte sie. Prompt begann nun auch noch die Wohnungsklingel zu bimmeln. »Wer hat denn um halb sieben schon seine Zeitung, um Gottes willen?«
»Ich nehme an, die Wohnung ist längst vermietet?«
»Gar nichts ist vermietet. Meine Wohnung ist nicht zu vermieten.«
»Weshalb schalten Sie dann eine Anzeige, wenn ich fragen darf?«
»Das war nicht ich.« Sie sank auf einen Stuhl. »Das war er. Mein Ex. Eine seiner subtilen Methoden, mich systematisch in den Wahnsinn zu treiben. Fünfzig Mal am Tag ruft er an. Er spamt mir den E-Mail-Eingang voll und schreibt mir tausend SMS. Und dann solche Scherze wie heute. Letzte Woche war es mein Wagen. Mercedes SLK, zweiunddreißigtausend Kilometer, umständehalber für neunfünf in gute Hände abzugeben. Hier war die Hölle los, kann ich Ihnen sagen. Sogar aus Amerika hat einer angerufen. Das Handy, das kann man ja wenigstens noch einfach ausschalten. Aber dann habe ich in meiner Verzweiflung auch den Telefonstecker aus der Wand gezogen, und danach waren alle gespeicherten Nummern weg. Verstehen Sie, ich bin Immobilienmaklerin, ich lebe von meiner Telefonleitung. In den letzten Wochen hat sich mein Umsatz halbiert.«
Ich öffnete die Wohnungstür noch einmal, zwängte mich hinaus und hielt dem Volk eine kurze und lautstarke Ansprache, in der Worte vorkamen wie Hausfriedensbruch, Nötigung und polizeiliche Zwangsmaßnahmen. Daraufhin leerte sich das Treppenhaus. Erst langsam und murrend, dann zügiger und schweigend.
»Warum zeigen Sie ihn nicht an?«, fragte ich, als ich der abgekämpften Frau wieder gegenüberstand.
»Kann man das denn? Weil einer ein Spinner ist, der seine Hormone nicht im Griff hat?«
»Ich könnte Ihnen dabei helfen.« Ich drückte ihr ein Visitenkärtchen in die Hand. »Und falls Sie im Gegenzug mal eine nette und nicht allzu teure Ein- oder Zweizimmerwohnung im Angebot haben, die tatsächlich zu vermieten ist …«
Sie betrachtete das Kärtchen ratlos. »Und Sie glauben wirklich, ich kann ihn drankriegen?«
»Was er macht, ist Stalking. Und das ist strafbar.«
»Ich bin übrigens ein großer Freund Ihrer Null-Toleranz-Politik, Herr Gerlach«, erklärte sie mit müdem Lächeln. »Erst hatte ich ja meine Zweifel. In New York ging’s damals ja auch nicht ohne Übergriffe der Polizei ab. Aber jetzt … Danke, dass Sie den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen.«
Warum tat nur immer meine linke Hand weh, sobald das Thema zur Sprache kam? Das letzte Pflaster hatte ich schon am Mittwoch
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