Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
knarrenden Dielen.
»Meine Frau«, erklärte er mit gedämpfter Stimme. »Sie fühlt sich heute nicht gut und hat sich ein wenig hingelegt. Werden Sie auch mit ihr sprechen müssen?«
»Das wird sich zeigen.« Die Couch, auf der ich saß, war von schlichtem, modernem Stil und so bequem, als wäre sie für mich gebaut. »Sie fahren einen Audi Geländewagen?«
Balke wusste das Kennzeichen aus dem Gedächtnis.
Adam Crocoll nickte. »Habe ich gegen irgendwelche Verkehrsregeln verstoßen?«, fragte er. »Oder gar noch etwas Schlimmeres?«
»Sie waren früher viel auf Reisen.«
»Sie scheinen ja eine Menge über mich zu wissen«, erwiderte er leise amüsiert. »Ja, das brachte mein Beruf leider mit sich. Achtzigtausend Kilometer im Jahr waren keine Seltenheit. Aber was ist daran so interessant, dass Sie deshalb eigens hierherkommen? Ich war vor elf Jahren zum letzten Mal an einem Unfall beteiligt, und vor dreieinhalb Jahren habe ich mein letztes Strafmandat pünktlich bezahlt.«
»Es geht nicht um ein Verkehrsdelikt. Es geht um Kindesentführung.«
»Kindesentführung?«, fragte er verständnislos und lächelte nicht mehr.
»Sie wissen vermutlich, dass in Heidelberg seit Wochen ein sechsjähriger Junge vermisst wird?«
Er senkte den Blick. »Entsetzliche Geschichte. Die armen Eltern haben mein Mitgefühl.«
Die Einrichtung war eine gelungene Mischung aus schönen Antiquitäten und unaufdringlicher Modernität. An den Wänden hingen großformatige Gemälde aus den Fünfziger- und frühen Sechzigerjahren, von denen ich manches sofort in meine Wohnung gehängt hätte. Ein kleiner Fernseher in der Ecke wirkte, als hätte er hier nicht viel zu tun. Dagegen schien das an der Stirnwand stehende Klavier umso häufiger benutzt zu werden. Darauf lagen in ordentlichen Stapeln mehr oder weniger zerfledderte Noten, daneben eine Geige.
»Unsere kleine Leidenschaft«, erklärte Crocoll, der meinen Blick natürlich bemerkt hatte. »Über die Musik haben wir uns damals kennen und lieben gelernt, meine Annabell und ich. Früher hatte sie eine wunderbare Stimme und konnte Schubert singen, dass man dachte, in der eigenen Brust ginge die Sonne auf.«
Balke beobachtete den Hausherrn mit undurchsichtiger Miene und überließ mir das Reden. Ich kam zur Sache.
»Ein Zeuge will Ihren Wagen am Nachmittag des fünften August in der Nähe von Bad Schönborn gesehen haben.«
Crocoll wirkte eher erheitert als überrascht. Für Sekunden betrachtete er seine Hände, deren Flächen immer noch entspannt aufeinander lagen. Dann sah er auf. »Sie verdächtigen mich doch hoffentlich nicht, etwas mit dem Verschwinden des Kindes zu tun zu haben?«
»Zunächst würde ich nur gerne wissen, ob die Aussage des Zeugen stimmt. Die Stelle, wo man Sie gesehen haben will, ist auch die, wo der Junge zuletzt gesehen wurde. Vielleicht haben Sie ja damals etwas beobachtet, wovon Ihnen bis heute nicht bewusst ist, dass es wichtig sein könnte.«
Seine Augen wurden schmal. »Am fünften August, sagen Sie? Und wo soll das noch mal gewesen sein?«
»Auf der Bundesstraße nördlich von Bad Schönborn.«
»Falls ich an diesem Tag wirklich etwas gesehen haben sollte«, sagte er ernst, »dann ist es mir inzwischen sicherlich entfallen.«
»Sie leugnen aber nicht, dort gewesen zu sein?«, hakte Balke sofort nach.
»Ich kann es im Moment nicht ausschließen. Meine Frau ist seit einiger Zeit leider sehr schlecht zu Fuß, und deshalb fahren wir hin und wieder zusammen spazieren. Vor allem der Kraichgau hat es uns angetan. Dort waren wir früher oft wandern. Hätten wir die Wahl zwischen der Toscana und dem Kraichgau, wir bräuchten nicht lange zu überlegen.«
»Das heißt, falls Sie an diesem Tag dort waren, dann zu zweit?«
»Sehen Sie, ich war während meiner Berufstätigkeit so unendlich viel allein unterwegs. Und meine liebe Annabell immerzu einsam zu Hause. Nun genießen wir die Jahre des Zusammenseins, die das Schicksal uns noch vergönnt.«
»Gäbe es eine Möglichkeit zu rekonstruieren, wo Sie an dem Tag waren?«
Crocoll überlegte kurz und nickte dann. »Die Fotos. Ich habe immer schon viel fotografiert. Vor allem Landschaften. Und letztes Jahr, zum Abschied, haben mir die Kollegen eine ganz wunderbare Digitalkamera geschenkt. Wenn Sie mögen, dann können wir hinübergehen, an meinen PC, und die Fotos durchsehen. Vielleicht sind ja welche vom fünften August dabei.«
Auch hier, im Wohnzimmer, hingen in mehreren Ecken gerahmte Fotos. Das Ehepaar hatte
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