Alexander Gerlach - 05 - Echo einer Nacht
später hat es dann geklappt. Leider ist mir da ein dummer Fehler unterlaufen.«
»Sie haben ein Mädchen erwischt …«
»Annabell hat es überhaupt nicht gemerkt. Sie hat sich auch gar nicht gewundert, woher das Kind plötzlich kam … Und wieder war sie wie verwandelt. Wieder ganz die gute, liebe Annabell. Als wäre die Uhr um ein paar Jahre zurückgesprungen … Andrea hat sich dann auch ganz gut eingelebt bei uns. Und Annabell, sie war so voller Liebe für die Kinder. Sie strömte über … vor Liebe. Verstehen Sie … ihr Kopf, sie …«
In diesem Augenblick verlor Adam Crocoll für immer das Bewusstsein.
Später fanden wir die Gräber. Es waren zwei. Sie lagen am östlichen Rand des weitläufigen Grundstücks unter großen, Schutz und Schatten spendenden Bäumen. Unauffällig zwar, aber offensichtlich regelmäßig gepflegt und deutlich als das zu erkennen, was sie waren: Kindergräber. Sogar kleine Sträußchen frischer Blumen lagen darauf.
Als die Kollegen vorsichtig zu graben begannen, stellten sie rasch fest, dass die Erde bereits kräftig mit Wurzeln durchzogen war. Damit war zumindest eine Angst von meiner Seele genommen: Tim Jörgensen lag dort nicht.
In der Susibar herrschte reger Betrieb, als ich gegen elf durch die gläserne Tür trat. Susi lachte mir entgegen.
»Dasselbe wie immer? Ihr Freund ist auch schon da.« Ich hatte an diesem Abend nicht die geringste Lust auf Lärm und Gesellschaft verspürt. Natürlich waren wir alle erleichtert gewesen, als wir Gundram seinen überglücklichen Eltern zurückgeben konnten. Natascha Sander wäre mir um ein Haar um den Hals gefallen, hatte dies im letzten Moment aber doch für unpassend befunden. Dafür hatte sie mir dann etwas linkisch die Hand gedrückt.
Später hatten die beiden mit der Psychologin gesprochen, die ich zur Betreuung des Jungen angefordert hatte. Gundram selbst gab sich abgeklärt und sehr erwachsen. Das andere, die Träume, die Panikattacken aus dem Nichts, das plötzliche Zittern und die Schweißausbrüche, all das würde erst später kommen. Und es würde sehr, sehr lange anhalten.
Dennoch hatte sich außer den Eltern niemand wirklich freuen können. Vier Menschenleben waren zu beklagen. Menschen, von denen wir zumindest einige hätten retten können, wären wir ein wenig schneller gewesen, klüger, aufmerksamer. Ich hatte mit Balke nicht über diesen Punkt gesprochen. Aber seine Miene verriet, dass er dasselbe dachte. Dass auch er sich Vorwürfe machte.
Zwei Kinder waren tot, von denen eines offenbar noch nicht einmal vermisst wurde. In einem der Gräber würden wir zweifellos Andrea Baslers Leiche finden. Das Kind, das neben ihr bestattet war, hatte Adam Crocoll vielleicht im Ausland entführt. Vielleicht hatten die Eltern es auch aus unerfindlichen Gründen nie als vermisst gemeldet. Früher oder später würden wir hoffentlich auch diese Frage klären und damit vielleicht die letzten, verzweifelten Hoffnungen eines Elternpaars zunichte machen. Möglicherweise waren sie aber auch froh, endlich Gewissheit zu haben. Wer konnte das wissen?
Natürlich hatte ich an diesem Abend keine Lust auf Kochkurs und Vegetarierrezepte verspürt. Aber trotz aller dunklen Gedanken hatte ich mich am Ende aufgerafft, um Pretorius zu treffen. Ich musste einfach wissen, was für eine Art Auftrag das war, den Tims Mutter ihm erteilt hatte. Noch immer wurde ein Kind vermisst, und ich wollte mir nicht schon wieder Vorwürfe machen müssen, etwas versäumt zu haben. Ich konnte einfach nicht glauben, dass die Sache nichts mit Tims Verschwinden zu tun hatte. So hatte ich mich nach einem stillen und einsamen Abend im Wohnzimmer mit schwerer Seele auf den Weg zur Susibar gemacht. Und nun war ich da und sah mich nach Pretorius um, der plötzlich vor mit stand und mir strahlend die Hand entgegenstreckte.
»Glückwunsch, Herr Kriminalrat!«, sagte er.
Offenbar war er schon länger hier, und entsprechend gut war seine Laune. Seine Freude schien jedoch echt zu sein und nicht nur vom Alkohol inspiriert.
»Gehen wir ein bisschen an die frische Luft?«, schlug ich vor. »Hier drin ist es mir zu laut, und ich würde mich gerne in Ruhe mit Ihnen unterhalten.«
»Prima Idee. Wollte sowieso gerade eine rauchen.«
Mit meinem Wein in der Hand folgte ich dem Detektiv vor die Tür. Er schwankte schon leicht und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand. Rechts und links neben dem Eingang standen zwei hohe, weiße Stehtische. Den rechten umringten schon
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