Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
waren auch die einzigen, die unter den neuen Umständen litten und nur deshalb von weithin hörbarem Zähneknirschen absahen, weil man ihnen sonst Schneide- und Backenzähne gezogen hätte. Seit drei Jahren flossen die Erträge des Wegezolls, als Schutzgebühr erhoben, nach Pella; Alexander hatte die Taulantier bekriegt (wie sie sagten) und befriedet (wie die Makedonen behaupteten). In einem Moment der Zerstreutheit und voll der Freude über die Beruhigung im Hinterland hatten die Archonten von Dyrrhachion einer makedonischen Gesandtschaft die Tore geöffnet: fünfhundert Gesandte, die nach und nach eintrafen und, als sie vollzählig waren, eine Besatzungstruppe im Auftrag des zähen alten Antipatros wurden. Etwa die Hälfte von ihnen hütete die Akropolis der Stadt wider die Umbilden des Wetters und der Meinungen; die übrigen, in wechselnden Einheiten, begleiteten gegen Schutzgebühr die Händlerzüge durchs Land. Alexanders Onkel und Schwager, der epeirotische Herrscher Alexandros, hätte es vorgezogen, seine Grenze drei Tagesmärsche nach Norden zu verschieben, doch war es ihm nicht möglich gewesen, den zehn Tagesmärsche östlich, in Pella, getroffenen Entscheidungen zu widersprechen.
Die Bewohner von Epidamnos oder Dyrrhachion schließlich ergaben sich ins Unvermeidliche, da es ihnen durchaus Vorteile brachte. Nicht aus Stolz, sondern zur Stärkung des städtischen und persönlichen Vermögens hatten sie immer wieder versucht, die Annäherungen Korinths und Korkyras zurückzuweisen; Stolz spielte für die hellenischen, epeirotischen , illyrischen, keltischen, etruskischen, latinischen, makedonischen und vielfach gemischten Bewohner kaum eine Rolle. Wichtiger war die Unabhängigkeit, auch von fernen Gebilden wie dem Korinthischen Bund, weil sie die Stadt der Verpflichtung enthob, Truppen zu stellen und Abgaben zu zahlen. Die aus Pella angereisten Gesandten – unter ihnen mehrere dem in Asien weilenden König und seinem Statthalter zu Pella verantwortliche Richter und Steuerpächter – erhoben nun neben allerlei Schutzgebühren auch den Zehnten, ersparten der Stadt dafür jedoch die Anwerbung und Besoldung eigener Truppen; die wenigen Kampfschiffe blieben im Dienst, aber immerhin bezahlten die Makedonen die Hopliten selbst, die sie an Bord schickten.
Zwischen Stadtmauern und Akropolis, beide eher gewöhnlich und dem Zweck untergeordnet, war die übrige Stadt ebenso buntscheckig wie die Bevölkerung. Es gab Tempel für alle hellenischen Götter, dazu Weihestätten und offene Altäre für zwei Dutzend Gottheiten anderer Gebiete. Im »ägyptischen Viertel« lebten nur noch wenige Ägypter, dafür Ost- und Westphöniker, Iberer, Sardonier, Syrer, Kreter und sogar zwei oder drei persische Familien. Schwarze und weiße Haut, tausend Schattierungen von Braun, durch Mischungen abermals vervielfacht wie die seltsamen Haarfarben und Sitten und Gewänder; ein Labyrinth von Dachgärten auf den zweigeschossigen, aneinandergeklammerten Häusern aus Holz und Ziegeln; wenige Schritte entfernt die hellen, geräumigen Häuser mit Wasserspielen im grünen Innenhof, wo die reichen Händler wohnten; Werften und Werkstätten, Schmieden und Schänken, zwanzig Zungen und all jene Formen des Todes, die das Leben ausmachen.
In dieser Stadt wurde Dymas wiedergeboren. Im Frühsommer kam er an, barfuß und hinkend, mit speckiger Mähne und struppigem Bart, die Fetzen eines Chitons am Leib, in der aufgenähten Tasche klirrende, seltsam geformte Gegenstände aus Metall. Später erinnerte er sich dunkel an Köhler in den Berglanden zwischen Thessalien und Epeiros, an Räuber in den molossischen Sümpfen, an ein geschlachtetes und gegessenes Pferd, an ein Feuer, in dem die Kithara verbrannt war. Er wußte noch, daß er nach dem Verschwinden der Räuber die Stimmwirbel aus der Asche gekramt hatte; er konnte sich jedoch nie die zahlreichen verschorften Wunden erklären, die seinen Körper bedeckten.
Ein paar Tage lebte er im Schatten der Mauern, wühlte im Abfall nach Eßbarem, murmelte vor sich hin; als zwei Bettler einem Sklavenhändler aus Korinth versprachen, für zehn Drachmen, oder acht, wenigstens aber fünf würden sie ihm einen verstörten Mann zeigen, den man nur ein wenig aufpäppeln müsse, damit er arbeiten könne, versteckte ihn eine alte Frau, die keine Zähne und nur ein Bein hatte, unter Hundekadavern. Abends flaute der seit Tagen wehende stickige Landwind ab; bei Sonnenuntergang setzte kräftiger Westwind ein. Er brachte
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