Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
betrachtete er die Risse in seiner Hand, die Spuren der Dornen; Blut sickerte heraus. Er lächelte schräg. »Oder doch nicht?«
Drakon beendete seinen Bericht mit ein paar Sätzen über die Rückreise, den langen Ritt über die südliche Handelsstrecke, von Quelle zu Quelle, zum Oasensee von Shedet – wo die meisten sich einige Tage ausruhten, während Alexander sofort weiterritt – und dann nach Memphis.
Barsine hatte die Augen geschlossen; ihre Hand krampfte sich um einen Zipfel der dunkelgelben Decke.
Sisygambis räusperte sich; mit kalter Stimme sagte sie: »Du lügst, edler Makedone. Jedenfalls insofern, als du wichtige Teile der Wahrheit ausläßt.«
»Was willst du hören? Die Feier am Tag nach dieser Nacht, als das Bild Ammons in der Barke herumgetragen wurde und durch Nicken, Schwenken und Zurückweichen Fragen der Krieger beantwortet hat? Die Anzahl der Weihegeschenke, die Alexander machte?«
»Andere Dinge. Wie du weißt, Drakon, denn du redest geschickt um sie herum. Warum willst du uns glauben machen, du, der kühle, vernünftige, skeptische Drakon – du seist der Magie der Nacht unterlegen? Eine schöne Beschreibung, gewiß, aber aus deinem Mund unglaubwürdig. Zumindest was dich angeht. Wo war Aristandros? Wann ist er wieder erschienen?«
»Hab ich mich verplappert?« Drakon breitete die Arme aus. »Er war einfach wieder da, am nächsten Tag.«
»Pah. Warum hast du in deinem Bericht nicht ein einziges Mal Ptolemaios erwähnt, den Sohn des Lagos?«
»Ah!«
»Ja, ah! Und die anderen Fragen, die Alexander dem Gott gestellt hat – wie hat er sie gestellt, wie wurden sie beantwortet? Vor allem aber« – sie beugte sich vor und starrte in seine Augen – »das ankh mit dem Horosauge. Das Amulett.«
Drakon ging durch den großen Raum, wandte den Frauen den Rücken zu. »Machen wir einen Handel?« Er nahm einen leichten Stuhl und setzte ihn neben Barsines Bett.
»Was für einen Handel?«
»Ihr sagt mir, was ihr wißt; und warum ihr wissen wollt, was ich weiß. Dann werde ich antworten – vielleicht.«
»›Vielleicht‹ reicht nicht«, sagte Sisygambis.
Drakon seufzte. »Ich könnte es versprechen und mich nicht an das Versprechen halten.«
»Sprich – Mutter.« Barsine flüsterte eher, als daß sie sprach. »Oder laß mich beginnen.« Sie versuchte sich ein wenig aufzurichten, gegen die Kissen gelehnt; zuerst blickte sie Sisygambis an, deren Gesicht regungslos blieb; dann wandte sie sich an Drakon.
Es war die Geschichte, die er kannte; was ihn verblüffte und ein wenig erschütterte war lediglich, daß Barsine so viele Einzelheiten wußte – Dinge, die Demaratos und seine verschwiegensten Leute in langen Jahren ermittelt hatten. Dinge, die aus guten Gründen so nicht einmal an Alexander weitergegeben worden waren. Und was immer Philipp gewußt haben mochte, ließ sich nicht mehr erraten. Die Verbindung der alten Symbole für Leben und Scharfblick, ewiges Leben und ewigen Verstand; auf karge Formen zurückgeführt eines der Zeichen für Gott in der Keilschrift Mesopotamiens; Unsterblichkeit war eine der Bedeutungen, die andere faßte das Erraten oder Weissagen göttlichen Willens zusammen, im vielleicht nur scheinbaren Widerspruch zum gottlosen, sich selbst genügenden Verstand. Barsine wußte, daß der Halbägypter Ptolemaios von Aloros, Beischläfer von Philipps Mutter Eurydike, das Symbol als Amulett getragen hatte; daß ein hellenischer Händler einige Zeit vor Alexanders Geburt, vielleicht sehr lange vorher, in einem verfallenen Tempel Ägyptens ein derartiges Amulett erhalten hatte, das aus Siwah kam, zusammen mit dem Auftrag, es in den Norden zu bringen, zu den Heiligtümern von Dodona und Samothrake; daß der große Himmelsmond des Widdergottes Ammon-Zeus noch nicht vollendet war, daß aber – ehe der Herr der Fische auftrat – Ammon ein neues Gefäß, einen neuen Pharao zur Wiedererrichtung seines Reichs suchen mußte und es im Norden erwartete; daß die Herrscher, die Ägypten von den Persern befreit hatten, vor nunmehr siebzig Jahren, den Priestern von Siwah als unrein, ungeeignet erschienen; daß die molossische Königstochter Olympias zunächst im Heiligen Hain von Dodona, dann im Tempel zu Samothrake als Priesterin und hetaira ausgebildet worden war, und daß die Unterweiser, zu denen ein Ägypter gehörte, ihr gesagt hatten, sie werde das neue Gefäß des Ammon gebären; daß Aristandros all dies wußte und dafür gesorgt hatte, daß Philipp zur Aussöhnung mit den
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