Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
babylonischen Wohnblock. Du wirst aber auch Büttel und Nachtwächter und Ratsherren brauchen, die dafür sorgen, daß die Gewalt nicht überhandnimmt unter den Teilen. Diese Hüter der Ordnung – woher nimmst du sie? Wahrscheinlich nimmst du zunächst einmal Makedonen, da du ja Herr der Makedonen bist und ihnen am ehesten vertrauen kannst. Mit ein wenig Glück, und unter dem Zwang makedonischer Schwerter, halten die übrigen Bewohner deiner Traumstadt untereinander den Frieden. Mit sehr viel Glück vermischen sie sich in den folgenden Jahrzehnten. Und was hast du dann? Eine Stadt mit einer makedonischen Herrenschicht und einer gemischten Bevölkerung von Knechten. Und was wird diese Stadt sein, was werden ihre Bewohner sagen? Sie werden sagen: Wir leben in der feinsten und besten aller Städte, wir sind die Feinsten und Besten, unsere Stadt ist der Nabel der Oikumene. Und sie werden gegen die anderen Städte genau so kämpfen, wie Athen und Sparta gegeneinander gekämpft haben.«
Peukestas schwieg. Er hörte den röchelnden Atem des sterbenden Philosophen, sah die zuckenden Flammen, die sich durch Holz und Papyros fraßen, fühlte plötzlich die Hand der Frau auf seiner Schulter.
»So, nicht anders, Peukestas. Die große Heimat, die du träumst – nenn sie Reich oder Oikumene oder meinetwegen Kosmos –, ist zu groß für die Menschen. Sie werden sich überall eine neue kleine Heimat machen und diese über alle anderen Heimaten aller anderen Menschen stellen. Alle verehren andere Götter, essen andere Speisen, denken andere Gedanken, sprechen andere Sprachen.«
»Wenn man nun aber – mit Gewalt, weil es anders nicht geht – neue Götter einführte? Oder aus vielen alten Göttern einen neuen machte, der die Eigenschaften der alten verbindet?«
Pythias gluckste. »Nun denkst du nicht mehr in Jahren, sondern in Jahrhunderten, nicht wahr? Wer soll das lenken? Alexander, wenn er nicht schon tot wäre, hätte vielleicht noch – wie lange? Zwanzig Jahre? Dreißig? Ein paar Jahrzehnte gelebt hätte er; und dann? Es wäre dann, nach seinem Tod, das gleiche Chaos entstanden, das jetzt kommen wird. Du hast ihn gekannt, nicht wahr? Er war einzigartig. Selbst wenn er nun einen erwachsenen Sohn hätte – meinst du, einer, der nicht Alexander ist, könnte dieses ungeheure Reich zusammenhalten? Außerdem – dein einer Gott, den man erfinden müßte: eine hübsche Idee. Was glaubst du, wie lange es dauert, bis die Gläubigen sich entzweien? Bis eine Gruppe eine besondere Form der Verehrung vorschreibt, der die anderen Gruppen nicht folgen, weil sie eigene Vorstellungen haben? Und hat denn die Tatsache, daß alle Hellenen Zeus verehren, die tausend Kriege in Hellas verhindert?«
»Du trampelst auf dem herum, was mir ernst und heilig ist.« Aber als er dies sagte, glaubte er es schon selbst nicht mehr. »Willst du den Frieden in der Oikumene nicht?«
Sie lachte gepreßt. »Ich habe zu lange teilhaben dürfen am Wissen und Denken von Aristoteles. Friede? Wo gibt es den Frieden? Zwischen Thrakern und Babyloniern herrschte Friede, weil sie weit entfernt voneinander waren. Es war ein Friede der fehlenden Berührung. Seit Alexanders Heer mit Thrakern nach Babylonien kam, ist das vorbei. Im westlichen Meer herrscht Friede, weil Karchedon übermächtig ist. In Hellas gab es ein paar Jahre des Friedens, weil Makedonien alles beherrscht hat. In Persien gab es lange Zeit deinen Frieden, weil der Großkönig seine verschiedenen Untertanen dazu gezwungen hat.«
»Kein Friede aus Einsicht, sondern nur unter Zwang? Glaubst du das ernsthaft, Pythias?«
»Ich weiß es. Die Bewohner der schönen und reichen Stadt Chalkis, wenige Stadien entfernt, würden einander die Kehlen zerschlitzen und ausplündern, wenn es nicht Gesetze gäbe, die das untersagen. Über diese Gesetze würde man sich hinwegsetzen, wenn man nicht fürchten müßte, dafür bestraft zu werden. Wir haben uns diese Gesetze selbst gegeben; und wir haben beschlossen, Richter und Büttel und Räte einzurichten, die uns durch Androhung von Strafen zwingen – in unserem Auftrag, weil wir uns selbst nicht genügend vertrauen. Uns selbst, und einander. Warum, Peukestas, nicht eine Richterin? Weil ihr nicht einmal euren Frauen traut – es sei denn, sie wären Töchter oder Witwen von Herrschern. Athens Demokratie, betrieben von erwachsenen Männern – ohne Frauen, ohne all jene, die seit Jahren in Athen leben, aus der Fremde zugereist, Metöken, vielleicht ebenso klug oder
Weitere Kostenlose Bücher