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Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)

Titel: Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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Haut; ein Leichnam, der bereits nach innerer Verwesung stank; ein hautbezogenes Gerippe, das sich noch einmal aufrichtete, auf die Ellenbogen stützte und Wörter sagte. Ein daimon, ein ungeheurer, alles übersteigender Wille hielt das Leben fest; mit Entsetzen erinnerte sich Peukestas an jenen anderen furchtbaren Leichnam, dessen Wille es war, zehn Tage lang nicht zu sterben, obwohl er bereits tot war, in Babylon.
    Alles, was er Pythias hätte erwidern können, entgegnen sollen, fragen wollen, war ausgelöscht. Er stand gebannt vor dem Untoten, von dessen ausgezehrtem Hals immer noch das Amulett hing.
    »Ich ... ich habe gelesen, Aristoteles.« Es war mühsam, Wörter zu sprechen und dabei in diese Augen zu sehen.
    »Bis wohin, Sohn Drakons?«
    Warum nannte er immer wieder den toten Vater? War der Heiler für diesen Leichnam gegenwärtiger als der Krieger?
    »Ich habe den Bericht des Dymas gelesen, als letztes; sein Gespräch in Karchedon mit Hamilkar, ehe er vermutlich wieder nach Korinth und Dyrrhachion aufbrach.«
    »Persepolis?«
    »Auch das; vorher.«
    »Nun weißt du alles – bis auf eines.«
    Peukestas ging beinahe in die Knie; flehend hob er die Hände. »Ich weiß alles? Nichts weiß ich, Aristoteles. Sieben, nein, sechseinhalb Jahre fehlen, tausend Dinge. Dareios; Bessos; Roxane; Indien; die Hochzeit von Susa; der Tod in Babylon; das Amulett – wenn es denn wirklich eine Bedeutung hatte. Ich weiß kaum den Anfang der Dinge.«
    Aristoteles stieß ein gräßliches, schepperndes, knirschendes Geräusch aus; es sollte wohl ein Lachen sein, klang aber wie der nie gehörte Todesschrei eines morschen Baums, an dem Äxte und Würmer ihre Arbeit getan haben.
    »Du warst doch dabei, bis zum Ende, nicht wahr?« Die Stimme klang fast gewöhnlich, fast menschlich, noch schlimmer durch den Gegensatz zu jenem Lachen.
    »Ich habe auch vieles gesehen, was vorher war, aber aus den Rollen unendlich viel erfahren, was ich nicht wußte – oder so nicht wußte. Neue Möglichkeiten, bekannte Dinge zu sehen, anders zu sehen.«
    Der Sterbende ließ sich wieder in die Kissen sinken. »Ah. Gut. Aber wenn du bis Persepolis und Karchedon gekommen bist, dann hast du alle Stränge in der Hand und weißt, zu welchem Knäuel sie werden müssen.«
    »Hast du denn nicht gesagt, daß es immer mehrere Wahrheiten gibt, wie die Wahrheit meines Erinnerns und die der Berichte anderer? Gibt es dann nicht auch mehrere Arten, den Knäuel zu wickeln; oder ihn zu sehen? Und waren diese Jahre nicht mehr als die zwangsläufige Vollendung vorher begonnener Dinge?« Er fühlte Bitterkeit in sich aufsteigen, Bitterkeit, die er auf der Zunge schmecken konnte. »War ich – waren wir alle nicht mehr als nebensächliche Darsteller einer Tragödie, oder Komödie, oder vielleicht eines aufgeführten Epos – einer Geschichte, deren Ende feststand, als wir aufbrachen? Haben wir denn nichts dazugetan? Nur – Spielsteinchen?«
    Aristoteles grinste; das Grinsen eines Totenschädels. Pythias wandte das Gesicht ab.
    »Gibt es wirklich nicht mehr Rollen?« sagte Peukestas. »Rollen, die du mir überlassen könntest, für die Geschichte?«
    Aristoteles stieß ein schrilles Keckem aus. »Rollen? Es gab sie, Sohn Drakons, aber ich habe sie verbrannt, bis auf wenige.«
    »Warum? Wieviel Wissen, Aristoteles! Welche Schätze hast du verschleudert!«
    »Keine Schätze, Sohn Drakons. Bis auf wenige, die aus bestimmten Gründen nicht mir gehören durften.«
    »Was ist mit Kallisthenes? Dein Neffe hat unausgesetzt geschrieben, solange er lebte. Ptolemaios? Mein Vater?«
    »Ptolemaios, ja. Ein großer Kopf. Ich werde nicht sehen, was aus ihm wird, aber ich nehme an, er wird Ägypten lange Zeit beherrschen.«
    »Ägypten?« Peukestas rang die Hände. »Sie streiten doch noch um das Erbe. Es ist der Streit, den sie vielleicht abzuwenden hoffen, wenn du ... wenn du einen Brief hättest, in dem glaubwürdig zu lesen steht, was Alexander für seinen Tod – für die Zeit nach seinem Tod vorgesehen hatte.«
    »Du wirst lesen, dann wirst du verstehen. Einiges wirst du noch lesen können, Sohn Drakons. Aber was die Dinge angeht, die verbrannt sind – Ptolemaios, wie du dich erinnern wirst, begann irgendwann, Haß auf die alten Makedonen zu empfinden, nicht wahr? Jene, die die hohen Ziele und die Ausmaße des Neuen nicht begreifen konnten oder wollten. Von dem Tag an ändern sich seine Berichte. Daß jemand einen Gegenstand anders sieht als sein Nachbar, das ist gewöhnlich; aber

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