Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Sicher, dem König zu Schlaf verholfen zu haben, ließen sie schließlich die Instrumente sinken. Tekhnef gähnte; Dymas konnte kaum noch die Augen offenhalten.
Alexander lag noch immer auf dem Rücken, die Augen geschlossen. »Ich danke euch, ihr Wohlmeinenden. Ihr seid müde, nicht wahr?« Er stand auf und kam zu ihnen, nahm Tekhnefs Hand, aber seine Worte richteten sich an Dymas, und irgendwie waren sie nicht überraschend.
»Das Flötenspiel ... Ich würde gern den Rest der Nacht mit der schwarzen Frau verbringen.«
Dymas spürte Tekhnefs Blick; seine Gedanken rasten durch die acht gemeinsamen Jahre. Mühsam löste er die Augen vom König und betrachtete die Frau, die Gefährtin, die Mitspielerin. Etwas zog ihm die Kehle zu; als er sprach, war es mehr ein Krächzen.
»Tekhnef ist ein Mensch, kein Besitztum. Ich habe nicht über sie zu verfügen.«
Tekhnef schloß die Augen; eine Träne rann über die Wange. »Die schwarze Frau liegt nur bei dem Kitharisten, oder sie liegt allein, Herr. Ich werde die Ehre, die der König mir erwiesen hat, bis zu meinem Tode hegen.« Sie berührte Alexanders Hand mit den Lippen.
Er streifte ihre Wange mit den Fingerspitzen und richtete sich auf. Dymas, stummer betäubter Betrachter, sah mit unfaßlicher Geschwindigkeit die Ausdrücke wechseln: der verblüffte Herrscher, der fröstelnd Wärme Suchende, der zürnend Verschmähte, der verlassene Junge, der müde Führer von zehntausend Kriegern. Wie das Antlitz des Teichs, vom Wind gepeitscht, das den Himmel spiegelt, an dem von Wind gejagte Wolken Fetzen bilden, die Sonne ver- und enthüllen, sich zu dichten Massen binden und wieder aufreißen, immer in Bewegung, immer getrieben.
Dann wirkte er nur noch nachdenklich; er verschränkte die Arme vor der Brust und ging auf und ab in dem engen Raum zwischen den Tischen und Liegen. Halblaut, wie verloren sagte er:
»Dies Ding, das ich bin, hält mich am Leben. Ein Gefäß, in dem zehntausend Wesen rasen und sich balgen, und jedes hat eine helle und eine dunkle Seite. Wenn mein Wille mich verläßt, wenn ich schlafe, fürchte ich oft, eine der Schlangen, ein daimon , wird die anderen und mich überwältigen. Ich weiß nicht, wer Alexander ist; mit Grauen und Abscheu denke ich an den, der dann Alexander sein wird. Der Tag scheucht die Schatten in die Abgründe, aber nachts ... Reden; Geschichten, erzählt von weitgereisten Männern der Nacht; die lichten Labyrinthe der Musik ...« Er seufzte. »Bänder, die das Gefäß zusammenhalten.« Wieder tasteten die Fingerspitzen nach den Schläfen; einen Moment schien es, als träten die Augen hervor. »Ich kann beschließen, nur von Apelles gemalt’zu werden. Aber ob die Bilder gut sind, entzieht sich meinem Befehl. Ich kann Kallisthenes anweisen zu schreiben, aber seine Kunst wird niemals die des göttlichen Homeros sein; da versagt mein Befehl. Ich könnte sagen, ich will nur eure Musik; aber wäre sie noch gut, wenn ich es jeden Tag befehlen müßte?«
Dymas stand auf und ging zu ihm; er blieb zwei Schritte vom König entfernt stehen. »Herr, morgen oder wann auch immer wirst du deinen Kriegern befehlen, in die Schlacht zu gehen, dir zu folgen. Wenn die Schlacht vorüber ist und das Heer der Satrapen vernichtet, werden Tekhnef und ich deinen Sieg preisen und euch verlassen.«
»So bald? Warum?«
Dymas zögerte, suchte nach Worten. Tekhnef, irgendwo hinter ihm, sagte leise:
»Wir ersticken.«
Alexander hob die Brauen. »Ersticken?« Dann lächelte er müde. »Ah, ich verstehe. Zu viele Menschen?«
»Dies auch. Es ist nicht leicht zu beschreiben. Eine Stadt ist ein verworrenes, undurchschaubares Gerät, eine Maschine aus Rädern, Kolben, Riemen, Pflöcken, die ineinandergreifen, und alles hat seinen Platz und seinen Sinn; aber ebenso gibt es leere Plätze für jene, die nicht Teil der Maschine sind – Musiker, zum Beispiel. Dein Heer, Herr, ist noch undurchschaubarer; für uns jedenfalls. Und hier gibt es keinen leeren Raum für uns, auf Dauer. Wir müßten Teil des Räderwerks werden; das wäre das Ende unserer Musik. Oder wir müssen gehen.«
Alexander richtete sich auf. Plötzlich sprühten seine Augen; als er die Hände auf Dymas’ Schultern legte, schien etwas vom König zum Musiker zu fließen: Feuer, Kraft, Wucht; und würgende Sehnsucht nach Grenzenlosigkeit.
»Ich bin das Räderwerk.« Alexanders Stimme: Liebe, Macht und Verheißung. »Ich bin jedes Teil und das Ganze. Es gibt darin Raum für Musiker; Raum und Gold.
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