Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
Labyrinthe bildeten. Ihm war, als ob sein Kopf kreiselte.
Ay trat zwischen die Säulen; Nhiyar stieß ihn mit der Schulter an. Sie gingen in eine Richtung, die vorn oder hinten sein mochte, zum Ursprung des grollenden Gesang, zum Quell der berauschenden Gerüche.
Zwei Reihen, zwei Dutzend Priester knieten dort, hockten auf den Unterschenkeln, sangen, wiegten sich vor und zurück. Die Gesichter waren verzerrt, entrückt, fern wie die Sterne. Auf niedrigen, schmalen Tischen standen neben ihnen Krüge und Becher.
Vorn, vor ihnen, Baal. Der Baal, nicht das ausdruckslose Bild des oberen Tempels. Baal, der Herr, der Opfer verlangte von denen, die seine Gunst oder Gnade begehrten. Der alte Gott, der das Leben nur um den Preis eines anderen Todes gewährte. Er war nicht aus täuschendem, verheißungsvollem Gold, sondern aus dem grimmigen Eisen der Wirklichkeit, aus heißem, brüchigem, rußigem Eisen. Zu seinen Füßen tobte in einer gemauerten Schmelzgrube sein Feuer, das die Sonne nährte, Leben gab und alles verschlang. Flammen leckten hinauf zu seinem Gesicht, dem furchtbaren Gesicht Dessen, Der Alles Sieht. Kein Trug, keine Verstellung, keine Lüge vor diesem Antlitz, das voller Hohn war und voller Wissen. Dymas starrte in die dunkel glimmenden Augen des Gottes und wußte, daß seine Musik Stümperei war, sein Leben Pfusch und aufwendige Sinnlosigkeit, sein Mut ein Speicheltropfen im Meer oder eine Kerzenflamme in der Sonne, er selbst kaum Gewürm. Er versank in den Augen, sprach mit dem Gott.
Der Ewige. Baal, der lehrt, daß jeder Schritt einen hohen Preis hat. Daß es kein Heil gibt ohne Grauen, daß zwischen den Rosen immer ein Dolch sein muß. Kein Licht, ohne daß etwas verbrannt wird. Kein Haus ohne Zertrümmerung von Steinen, kein Acker ungedüngt von Leichen, keine Pflugschar ohne Schwert. Kein Leben ohne Tod. Immer steht Baals Löwe am Rand des Feuerkreises, immer liegt Baals Natter unter dem Brautkissen.
Er wußte nicht, wie lange er gestanden und gestarrt hatte, erstarrt. Die Zwergin, die vor ihm stand, preßte ihren Hinterkopf gegen seinen Nabel. Nhiyar seufzte, sagte einen halblauten Satz in seiner alten, toten Sprache, einen Satz wie das Knarren des Waldes, der von einer Lawine zermalmt wird.
Dymas riß sich zusammen. Vom, neben Baal, bewegte sich etwas. Sie gingen näher, langsam, mit kleinen Schritten. Auf einem Sockel aus schwarzem Holz, verkleidet mit unlesbar beschrifteten Tontafeln, verziert mit den Köpfen scheußlicher Ungeheuer aus bunten Steinen, Metallen und Knochen, saß eine unendlich aufgedunsene, kahlköpfige, fette Frau. Ihre Brüste, von der Seite gesehen, unterschieden sich kaum von den anderen Fettwülsten. Ihre Ohren waren übergroß, die Ohrläppchen baumelten fast auf die Schultern. Sie saß links neben der Feuergrube, atmete den Rauch und die Dünste aus den Opfertöpfen, in denen Weihrauch und tausend andere Dinge glühten.
Ay und Nhiyar zogen Dymas nach rechts. Als er über die Flammengrube hinweg noch einmal die fette, nackte, kahle, unförmige Gestalt anschaute, sah er die abgespreizten Zwergenbeine und zwischen ihnen den behaarten Hodensack und den Phallos.
Der Hermaphrodit blinzelte und stieß einen winselnden Klageton aus; einer der singenden, schaukelnden Priester unterbrach sich, stand auf, füllte einen Becher und reichte ihn dem Zwitter. Das Geschöpf – Mensch oder daimon – trank, rülpste donnernd, blinzelte und schloß die Augen.
Sie füllten ihre Becher – Nhiyar und Ay taten es, Dymas folgte ihnen fast willenlos auch hierin. Sie leerten sie auf einen Zug; es schmeckte schwer und süß, aber etwas Geheimes, das die Bitternis der Jahrtausende barg, war darin. Dann gingen sie langsam weiter, vorbei an Baal.
Hinter dem Gott begann ein langgezogener Halbkreis, eine Art Rundgang. Zu beiden Seiten, in drei Schichten vom Boden bis zur Gewölbedecke, standen aus grünlichem, kaltem Stein geschnittene Götterbilder. Ay gluckste und stieß unverständliche Laute aus; Nhiyar lächelte und berührte die Figuren mit den Fingern, vorsichtig, als könnten sie zerbrechen. Dabei murmelte er Wörter – oder Namen, wie Dymas schließlich begriff.
Der Luwier verdrehte den Kopf, schaute zu Dymas zurück, grinste wieder – nein, er lachte; ein glückliches Lachen.
»Du unglaub, was? Götterberste, hierher kommen Mondwind. Tempel – der – Toten – Götter was das etwa.«
Eine heiße Faust griff nach dem Magen des Kitharoden. Er taumelte; vor seinen Augen drehte sich
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