Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
alles. Die Toten Götter, oder der Pilzstaub im Dattelwein? Er zwinkerte, rang nach Luft; langsam klärte sich sein Blick.
Nhiyar hatte sich wieder abgewandt, berührte eine Göttergestalt, die Ähnlichkeit mit gewissen Hermes-Darstellungen hatte.
»Schlitzohr – tot«, sagte er; es klang fast mitleidig, oder nach Bedauern ob eines Verlusts. Noch ein Name.
Lugalbanda: Dymas kannte diesen Gott, oder hatte von ihm gehört – einer der alten Götter der Babylonier oder Sumerer, Herr der Diebe und Kaufleute.
Garshammi: Löwenköpfig, ansonsten vom ein Mann, hinten ein Tier, mit Schuppenkamm auf dem Rücken und einem Löwenschwanz, der in einer Flamme endete;
Enbelbagar: ein aufrechtes Krokodil, der Bauch wie von den eigenen Zähnen zerschlitzt;
Nush-agyri: eine Kugel aus Schlangen, mit einem von Schlangen geformten Menschengesicht in der Mitte und dem Ausdruck ungeheuren Hasses;
diese und andere, die Nhiyar nannte, von denen Dymas nie gehört hatte und nie wieder hören wollte; aber auch Zeus und Aphrodite und Athene, Enlil und Ishtar, Lug und Shamash und Hathor und Isis, Poseidon und so viele andere, die noch verehrt wurden – alle tot, alle erledigt?
Sie hatten den Rundgang fast beendet. Auf der anderen Seite, als sie sich dem Hermaphroditen näherten, waren die meisten Nischen noch leer. Die letzten Gestalten allerdings ließen Dymas abermals erstarren.
Ammon, mit Widderhörnern und mildem Lächeln.
Als letztes ein unfertiges Bild, erst zu einem kleinen Teil erkennbar: etwas wie der untere Teil eines senkrechten Balkens.
Davor, neben Ammon, zwischen vielen leeren Nischen, der Makedone: Alexander, Sohn Philipps und der Olympias, Sohn Ammons.
Wieder drehte sich alles um ihn, seine Knie gaben nach. Nhiyar packte ihn, Ay fing den Becher auf. Als Dymas wieder klar sah, ließen sie ihn eben hinter den beiden Reihen von Priestern auf den Boden sinken. Die Zwergin füllte seinen Becher und hielt ihn ihm an die Lippen; Dymas trank gierig.
Das Bild Alexanders war vollendet. Alexander im Tempel der Toten Götter, ebenso nebensächlich und hinter Baals Rücken verstaut wie all die anderen.
Seine Sinne trübten sich; er hörte helle Stimmen und sah huschende Flammenkinder, roch den Hafen von Karchedon, der gleichzeitig ein Blumenmeer war, leerte einen dritten Becher, einen vierten. Irgendwann bemerkte er, daß er kniete und sang, vor und zurück schaukelte wie die Priester, wie Ay, wie Nhiyar. Jemand schob ihn weiter vor; der Hermaphrodit, ein schlanker Jüngling mit lieblichem Lächeln, legte ihm die Hand auf den Kopf und sagte etwas. Dymas verstand nichts, aber in seinem Geist formten sich Klänge: Du wirst in Babylon sehen, was du mit Entsetzen begehrst, und aus dem Norden hören, was du mit Bangen erhoffst.
Irgendwer begann zu tanzen, einen Tanz ohne Schritte oder Rhythmus; Dymas tanzte mit, und trank, und trank. Demaratos betrat den Raum, klatschte in die Hände und wurde zu einer hellroten Blutwolke. Alexander drang in den Tempel ein, legte Sarissen über die Schlangengrube, durchtrennte die Fäden, ließ Giftpfeile regnen, ging unverletzt weiter, sprang über die gekippten Stufen, trank einen Becher und umarmte den Gott, der glühendes Eisen war und ihn kreischend aufnahm, mit sich verschmelzen ließ. Kamele sanken in den Boden; vom Sturm getrieben raste ein Segelschiff in den Rundgang und kehrte nicht zurück. Die Statue der Ishtar verwandelte sich in ein Abbild Tekhnefs, dann in die zu Tode gemarterte Kleonike, dann in Olympias. Ein Makedone mit gebrochenem Nacken stürzte einen endlosen Schacht entlang, der nicht in die Tiefe führte, sondern waagerecht verlief. Auf dem Handteller Parmenions stand eine umgedrehte Pyramide. Ay küßte ihn auf die Nase, stand auf und sprang in die Schmelzgrube. Nhiyar weinte und lachte, die Priester sangen, ein Vogel wetzte seinen Flügel an einem Rubinberg. Die vier Männer, die in engem Kreis ein Gespräch geführt hatten, standen auf und schwebten herbei. Ay nahm Anlauf und sprang in die Schmelzgrube; Alexander schritt über Schlangen und Sarissen; Tekhnef ritt auf dem Mondwind, der eine ungeprägte Scheibe war und wie Schnee zerfiel. Ay sprang in die Schmelzgrube und brannte, die vier Männer schwebten näher, und Dymas schrie, schrie, schrie, zerriß den Chiton, zerriß die aufgenähte Tasche, in der das Auge Alexanders, nein die Münze des Mondwinds, nein der schwarze Geisterstein steckte. Ay nahm Anlauf und sprang in die Flammen, und Dymas schrie und schleuderte
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