Alexander in Asien: Alexander 2 (German Edition)
des alten Korinthers.
»Sie hat wahrscheinlich ein Viertel hellenisches Blut, ein Viertel assyrisches, ein Viertel phönikisches, ein Viertel phrygisches. Der Mann dort, mit dem weißen Kopftuch und dem langen Gewand – ein arabischer Händler; ob er die Küsten kennt, an denen Weihrauch gewonnen wird? Drüben, an dem Pfosten, das könnte ein Karchedonier sein, daneben ein Sikeliot, vermutlich aus Syrakus. Ewig im Krieg, aber hier stehen sie und reden. Die Ägypterin drüben – keine Dirne, eine edle Frau, Gattin wahrscheinlich eines reichen Kaufherrn, der viel über die Perser wissen muß, weil er sonst nicht hier und in Ägypten handeln könnte. Bauern aus dem Hinterland; schau, wie sie die Augen aufreißen und die Mädchen vor der Kaschemme drüben begaffen. Und du sagst, was ist daran bemerkenswert?«
Kallisthenes lachte halblaut; er spuckte in den Fluß. »Alles, was über Ägypter, Perser, Phrygier und andere wissenswert ist, hat Herodotos verzeichnet, mein Freund; heute sollte uns an ihnen nur das fesseln, was sie mit uns verbindet – der Hauch von Hellas, die Feinheit und Überlegenheit des hellenischen Seins. Sind wir denn nicht deshalb hier? Um Asien vom Joch der Barbaren zu befreien, um die Schande zu tilgen, um diese Länder hellenisch zu machen?«
Demaratos stand auf und klopfte ihm auf die Schulter. »Geh zurück ins Lager, träum von Hellas, Neffe des großen Aristoteles. Ich fürchte, er hat dich nicht genug geprügelt, als du klein warst. Eines Tages wirst du erwachen, erwachsen, und dann stellst du vermutlich fest, daß der Tod nur eine Armlänge entfernt ist und dein Leben vergeudet war.«
Im Lager fand Kallisthenes Aufruhr und Empörung. Harpalos der Hinkende, Jugendfreund des Königs, Schatzmeister des Heers und einer der wichtigsten Berater, war zusammen mit einem ebenfalls geldmehrenden Hellenen namens Tauriskos geflohen; sie hatten Gold und Silber mitgenommen, soviel sie nur tragen konnten; sie sollten den Hafen mit einem phönikischen oder karchedonischen Schiff verlassen haben.
Daß die höheren Offiziere – Koinos, der in Abwesenheit der anderen das Lager befehligte, oder der Lagide Ptolemaios, der ihm half, nicht viel Aufhebens davon machten, konnte Kallisthenes verstehen: Sie lebten seit mehreren Tagen mit dem Wissen und hatten sich daran gewöhnt. Was er nicht verstand, war das ewige Grinsen des Lagiden, wenn die Rede auf Harpalos kam; auch begriff er nicht, daß Demaratos nach ein paar abfälligen Bemerkungen das Lager wieder verließ und in den Hafen zurückkehrte, und noch weniger, daß Alexander, den der Verrat des alten Freundes furchtbar treffen mußte – den König, der sich bedingungslos auf seine Freunde verließ! –, bei seiner Rückkehr nach Tarsos den Bericht anhörte, eine spöttische Rede hielt über die Fährnisse, die einem nicht seefesten Hinkenden aus Wogen und schwankenden Planken angedeihen mochten. Dann sprach er über die nächsten Schritte.
Das Gefühl, Dinge nicht zu verstehen, war Kallisthenes durchaus bekannt. Oft handelte es sich dabei um etwas, das er nicht verstehen wollte – Verästelungen asiatischen Denkens, wenn es derlei überhaupt gab, oder Gepflogenheiten der ausnahmslos barbarischen Völkerschaften, die Alexanders Schwert dem hellenischen Geist gefügig machte. Es gab auch Dinge im Lager oder auf dem Marsch, Dinge des Heeres, die ihn so wenig kümmerten wie ein Wind, der ferne Palmen borstig macht: fremde Palmen, entlegener Wind, unwichtige Borsten. Und es gab Dinge, die man ihm nicht erschloß – Feinheiten der Planung etwa, oder Anordnungen rein kriegerischer Art. Hierbei unterschied er zwischen zwei Formen mangelnden Erschließens: absichtliche und unabsichtliche Verweigerung von Kenntnissen. Die absichtliche hatte er hinzunehmen; geheime Beschlüsse, Kriegsrat im engsten Kreis, die widerwärtigen und eines tugendhaften Kämpfers unwürdigen Ränke des Demaratos zum Beispiel, die der Geheimhaltung bedurften, um überhaupt durchführbar zu sein. Die unabsichtliche Verweigerung von Kenntnissen nahm er ebenfalls hin, da es sich um Dinge handelte, die ihm gleichgültig waren. Dinge, zu deren Verständnis Kenntnisse nötig gewesen wären, die er weder besaß noch erwerben wollte. Wenn es bei den Beratungen, denen er beiwohnte, um solche Fragen ging, starrte er meist in den Wein oder die Weite, entsann sich verblichener Verse oder ergänzte stumm, mit abweisendem Lächeln, die Figuren eines Spiels, das nach und nach in seinem Geist Gestalt
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