Alexander
dazwischen schnalzende, jammernde, dudelnde Musik.
An Plätzen vorbei floh Alexander, wo Schlangenbändiger sich produzierten, griechische Rhapsoden ihre großen Märchen vordeklamierten. Bräunliche Tänzerinnen schüttelten den trainierten Bauch, ihnen tranken dicke Männer zu, die auf der Erde hockten und sich mit ihren Fäusten Fleisch aus Pfannen holten. Andere Soldaten drängten sich an andere Weiber; der König eilte, um nicht sehen zu müssen, wie die Paare, ineinander verkrampft, hinsanken.
Die Lustigkeit war ungeheuer, denn Majestät hatte den Truppen die bedeutendsten Vergünstigungen gewährt: außer dem Silbertalent und der Aussteuer wurden jedem jungen Ehemann die Schulden bezahlt, die er während des ganzen Feldzuges gemacht, präsentierte er nur seine Rechnung. Den ganzen Tag waren auf freien Plätzen die Tische aufgestellt gewesen, wo man seine Goldstücke abholen durfte. Es folgte, mit großem Volksfest und enormer Schmauserei, der Abend, der in die Hochzeitsnacht der Zehntausend ausgehen sollte. Für die nächsten Tage waren tragische und heitere Theateraufführungen vorgesehen; man erzählte, mehrere Truppen aus Athen seien angekommen.
An zechenden, grölenden Gruppen vorbei hastete Alexander, freies Land zu gewinnen; ihm folgte, ein gewandter Schatten, der Zwitter. Schon stolperten sie oft über Leiber, die sich auf der Erde wälzten, stöhnend ineinander verschlungen. Der König lief, er verstand selbst seine Angst nicht. Ihm schien es, daß es kein Entkommen mehr gab, je weiter ins Freie sie kamen, desto häufiger wurden die aufeinanderliegenden Körper. So blieb er stehen, glaubte sinken zu müssen, schloß die Augen und schnupperte.
Er schnupperte in der Luft, die von vielfachen Gerüchen übersättigt schien. Es roch nach Wein, gebratenem Fleisch, nach dem Safte reifer und geplatzter Früchte; auch nach Schweiß, Blut und Gebrochenem; aber auch nach etwas anderem, was zu erraten sich Alexander schnuppernd mühte.
Er zog Bagoas näher an sich: »Wonach riecht es?« Dabei schloß er wie ein Betäubter die Augen. Das kühle und gefällige Geschöpf an seiner Seite schmiegte sich zärtlicher. »Ich habe Angst«, flüsterte der unbesiegbare Alexander. »So schlimm war es nie auf dem Schlachtfeld. Zwanzigtausend Menschen paaren sich unter freiem Himmel – das riecht –« Er schnupperte wieder, Leid im Gesicht, so wie man sich einem Laster ergibt, das man als äußerst unbekömmlich kennt. »Siehst du nicht, kleiner Bagoas? Wie die Weiber beim Küssen den gefräßigen Mund aufreißen? Wie sie ihre dicken Zungen spielen lassen? Wie die Männer sie an den Haaren packen, das ist ja grauenhaft, wie sie sie beuteln –«
Das ganze Land war bedeckt von stinkenden, zuckenden Leibern, wie von Aussatz. Sie hingen von Bäumen, turnten auf Felsen, spreizten sich, zeigten frech, was sie hatten, Schenkel und Bauch. Alexander, mit der ganzen Wucht seines Körpers auf das biegsame Kind gestützt, das sie zäh aushielt, flüsterte mit Lippen, die lahm wurden vor Entsetzen: »Heute nacht werden zehntausend neue Menschen gezeugt – es geht weiter.«
Endlich stürzte er; er zog das fügsame Kind mit zur Erde.
II
In der Stadt Opis scheidet sich die große Heerstraße westlich und östlich, zum Abendland und nach Medien. Auf dem Marsche der großen Armee von Susa gen Babylon wurde in Opis eine Rast von mehreren Tagen befohlen, das Lager vor der Stadt aufgeschlagen, während Alexander mit seiner Umgebung das Königsschloß bezog. Dieser Umstand verschärfte peinlich eine Mißstimmung, die in der Armee seit Monaten zu spüren war. Man vergaß das Schauerliche nicht, was man in der Wüste Gedrosiens gelitten hatte, kein Freudenfest konnte die Erinnerung tilgen. Das Verhalten des Königs verletzte, man fand, daß es undankbar war. Man hatte sich damit abgefunden, daß er persische Kleidung trug, auch mit dem orientalischen Zeremoniell, das er eingeführt hatte. Kränkend blieb, daß er mit asiatischen Würdenträgern, Offizieren immer freundschaftlicher wurde, mit den mazedonischen immer kühler. »Er ist unserer überdrüssig«, schimpfte man, wenn man abends um die Feuer beisammensaß. »Seitdem er seine persische Prinzessin hat, kommt er sich selber vor wie ein Achämenide. Er ist undankbar, wie sein Vater war, der immer Athen mehr als Mazedonien geliebt hat. Dieser da liebt Asien mehr als Mazedonien und Athen zusammen. Er trägt das bestickte Affenkleid, er schläft mit dem babylonischen Zwitter. Uns
Weitere Kostenlose Bücher