Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
doch nichts, Süße.«
Doch,
dachte Alex,
tut es.
Sie zog die Nase hoch, wischte sich durch die Augenwinkel und hatte sich wieder gefangen. »Das habe ich alles dir zu verdanken, Helen. Wenn du mir nicht die Ausschreibung …«
»Papperlapapp.« Helen machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Doch, es ist so. Du weißt ja nicht, was es für mich bedeutet …«
»Für mich bedeutet es jedenfalls, dass wir bald wieder Kolleginnen werden, und das finde ich großartig. Ich meine, ein paar Kilometer liegen ja dazwischen, das ist echt wilde Prärie da hinten. Aber für den Anfang bestimmt nicht schlecht, oder?«
»Ja, das glaube ich auch.«
»Und wann geht’s los?«
Alex hob die Augenbrauen. Es fühlte sich fast so an, als verkünde sie den Geburtstermin eines Babys. »In drei Wochen.«
Helen grinste und schob die Schutzbrille wieder über die Augen. »Okay, Cowgirl. Dann sollten wir keine Zeit verlieren und noch ein wenig trainieren.«
»Ja«, lächelte Alex, »das sollten wir.«
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3 .
D ie Erntesaison begann in Lemfeld für gewöhnlich Anfang August, wenn die Felder hoch standen und die mit reifen Körnern gefüllten Ähren sich in Richtung Boden neigten. Der Monat hatte ungewöhnlich kalt und feucht begonnen. Die Äcker waren verregnet, die Erde nass, die Gerste von Sturmböen niedergedrückt, und damit war an Arbeit im Korn noch nicht zu denken. Einige Spaßvögel hatten den Stillstand genutzt und Kreise in die Felder gezeichnet, die vielleicht vor einigen Jahren noch Aufsehen erregt hätten, jetzt der Lokalpresse aber nur noch eine müde Bildzeile mit der ironischen Überschrift »Grüße vom Sirius« wert waren. Nachdem sich der Spätsommer dann wieder zurückgemeldet hatte, herrschte Hochbetrieb auf den Äckern, und der Klang der Mähdrescher dröhnte über Lemfeld wie vor mehr als sechzig Jahren die Rotoren der amerikanischen Geschwader auf dem Rückweg von ihren Bombardierungen.
Reinhold Kröger drehte seit dem frühen Morgen seine Runden auf dem gewaltigen John Deere, genoss die kühle Brise aus der Klimaanlage sowie einige Butterbrote, die er sich mit Spiegelei belegt hatte. Für heute Mittag waren Gewitter angesagt. Er musste sich beeilen. Aber Eile war bei der Feldarbeit ein relativer Begriff. Der John Deere fraß sich wie eine dicke Heuschrecke Stunde um Stunde gemächlich durch das Korn – nur unterbrochen von gelegentlichen Stopps am Traktor zum Entleeren des Tanks. Das GPS wies Kröger den Weg, und das monotone Surren der Maschine und die sanfte klassische Musik aus dem Radio ließen ihn schließlich für einen Moment einnicken. Krögers Kopf kippte nach vorne, die grauen Haare fielen ihm in die wettergegerbte Stirn und schließlich das Butterbrot aus der Hand.
Lautes Krachen riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Einen Augenblick lang war er benommen, und er starrte wie durch einen roten Nebel auf die großflächig plattgedrückte Gerste im Zentrum des Kornfeldkreises. Der John Deere ruckelte. Dem Krachen folgte ein Knirschen. Dann schaltete das Sicherungssystem die Maschine aus. Nur das Radio lief weiter und spielte eine Nocturne von Chopin. Kröger rieb sich mit den schwieligen Handballen über die Augen, aber der Nebel wollte nicht verschwinden. Schließlich durchfuhr es ihn wie eine Eisenfaust. Es war kein Nebel. Die komplette Windschutzscheibe war mit feinen rotbraunen Tropfen besprüht, die in zähen Schlieren an dem Plexiglas herabliefen. Blut.
Der Landwirt schoss aus dem Ledersessel und sprang aus dem Führerhaus. Irgendein dämliches Rehkitz, das sein Lager in dem Kornfeldkreis eingerichtet hatte, musste in das Schneidwerk geraten sein. Abgesehen davon, dass das eine Riesensauerei und unter Umständen einen teuren Schaden bedeutete, hieß das auch: Mach’s gut, Gerste. Denn das Gewitter zog bereits auf. Die Luft war zum Schneiden. Klebrig, heiß und feucht. Ein schwüler Wind raschelte in den Ähren.
Kröger ballte die Fäuste und marschierte vorbei an den mannshohen Reifen des John Deere, um sich den Schaden zu besehen. Als er an der gewaltigen, fast fünf Meter breiten Einführungsschnecke angekommen war, stockte ihm der Atem. Das Metall war über und über mit Blut bezogen, und die komplette Front des Mähdreschers war damit besprüht. Nicht auszumalen, welche Schweinerei das Mistvieh hinter den Messern im Dreschwerk angerichtet haben würde. Aber es musste etwas weitaus Größeres gewesen sein als ein Rehkitz, dachte Kröger. Vielleicht war es auch Aas gewesen,
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