Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
nicht,
sie
sind es?«
»O Gott, o Gott!« Alex sprang von einem Bein auf das andere. Doch nicht hier. Ausgerechnet hier und jetzt. Das passte ü-b-e-r-h-a-u-p-t nicht.
Helen legte die Hand vor den Mund. »Sie sind es.«
Die Nummer im Display war die des LKA – genauer gesagt die Durchwahl von Dr.Johannes Stemmle aus der Operativen Fallanalyse. Die Abteilung hatte ihre Wurzeln im US -amerikanischen Profiling. Bei ungeklärten Tötungsdelikten berieten speziell ausgebildete Kriminalbeamte, unterstützt von Psychologen, die Sonder- und Ermittlungskommissionen. Ihr Job war es, anhand aller verfügbaren Daten Tathergang und Tatphasen akribisch zu rekonstruieren und Verhaltensaspekte abzuleiten, um Aufschluss über die Motive des Täters und dessen Verhaltenscharakteristik zu erhalten. Stemmle war der Koordinator für das landesweite Pilotprojekt, auf das sich Alex vor einigen Wochen beworben hatte. Mittelgroßen Behörden sollten in ausgewählten Städten Psychologen zugeordnet werden. »Ein Testballon«, hatte Stemmle erklärt, »der auch nur auf das Drängen eines Kollegen zustande gekommen ist, der unbedingt neue Wege beschreiten will.« Machte ja nichts – in neuen Wegen war sie gut, wenngleich Stemmle ihr als Berufsanfängerin keine allzu großen Hoffnungen gemacht hatte.
In dem Projekt ging es vorrangig um die Supervision der Einsatzkräfte, Personalentscheidungen, Gesprächsangebote. Außerdem sollte Betroffenen Beistand und bei Bedarf ermittlungstaktische Hilfe geleistet werden. Das Land hatte die Sache abgenickt, in der Hoffnung, dass Kapazitäten bei den überlasteten kriminalpsychologischen Abteilungen des LKA und BKA entlastet sowie Kosten bei der Beauftragung teurer freier Gutachter gespart werden konnten.
Alex sah den potenziellen Job als Sprungbrett. Vielleicht entwickelte sich aus dem Projekt eine feste Stelle, wenn sie ihre Sache gut machte, wozu sie finster entschlossen war. Ihr Lebenslauf übertraf die Anforderungen ohnehin bei weitem: kriminalpolizeiliche Ausbildung an der BKA -Akademie, ein paar Semester Medizin, »Summa cum laude«-Promotion in Psychologie, eine ganze Reihe einschlägiger Workshops in Forensischer Psychiatrie und Seminare in operativer Fallanalyse sowie ein einjähriges Praktikum im privaten kriminalpsychologischen Institut ihrer Mentorin, die Gutachten und Täterprofile für die Landeskriminalämter anfertigte. Zudem war Alex gerade mal zweiunddreißig Jahre alt sowie Bezirksmeisterin im Triathlon und die Tochter von Alexander Graf von Stietencron, der an der Düsseldorfer Kö einer angesehenen Kanzlei vorstand, seit Jahrzehnten erste Wahl in Wirtschaftsfragen. Die Referenzen waren vorzüglich. Nur nicht, und Stemmle war nicht müde geworden, es zu betonen, ihre mangelnde Berufserfahrung.
Alex atmete durch, schluckte schwer und nahm das Gespräch an. Eine Absage. Es stand so fest wie das Amen in der Kirche. Mit zusammengepressten Lippen und der freien Hand aufs Herz gedrückt, stand sie mit überkreuzten Beinen da, verfolgte konzentriert Stemmles Worten, nickte gelegentlich und ließ ein »Mmh« folgen. Helen gab keinen Mucks von sich. Schließlich verabschiedete sich Alex, klappte das Handy zusammen und sank mit einem »Puuuh« in sich zusammen.
»Sie haben dich nicht genommen.« Helen hielt sich die Hand vor den Mund. »Diese Idioten.«
»Der Dienststellenleiter habe gesagt, ich sei ja etwas jung.«
»Ja und? Spinner!« Sofort schoss die Farbe in Helens Gesicht, wie immer, wenn sie wütend wurde.
»Die Berufserfahrung sei ja auch nicht so doll …«, seufzte Alex.
»Und wie soll man Berufserfahrung bekommen, wenn nicht durch die Praxis? O Mann, wenn ich das schon wieder höre …«
»Ja.« Alex atmete schwer aus. »Das hat der Dienststellenleiter auch zu Stemmle gesagt.«
»Wie«, fragte Helen verwirrt, »was hat er gesagt? Das verstehe ich jetzt nicht.«
»Dass man Berufserfahrung nur durch Praxis erhält.« Ein breites Lächeln legte sich wie ein Sonnenstrahl auf Alex’ Gesicht. »Ich habe den Job.«
»Aaaaah!« Helen riss die Hände hoch wie ein Boxer nach dem Sieg. »Du Miststück!«
Sie sprang auf Alex zu und nahm sie in die Arme. »Mensch, ich freue mich so für dich!«
Alex spürte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten und sich der Kloß in ihrer Brust löste. »Ja. Ist das nicht toll? Stemmle hat dann auch zugestimmt. Er hat es zwar an eine ganze Reihe von Auflagen geknüpft, aber was soll’s. Und ich Idiotin fange an zu heulen.«
»Das macht
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