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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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sich an die Wange.
    »Außerdem macht sich Mama Sorgen. Du könntest ruhig mal anrufen.«
    Alex verdrehte die Augen und ging zurück ins Wohnzimmer. Sorgen. Wenn Mama auch nur den Hauch einer Ahnung von
ihren
Sorgen hätte, würde sie es sofort als Grund nehmen, sich mit einer Flasche Wodka ins Schlafzimmer zu legen. Besser also, sie wusste von nichts.
    »Mache ich. Versprochen«, log Alex. »Aber was das Wochenende angeht, werde ich es leider nicht schaffen. Ich bin bis zum Hals voll mit Arbeit.«
    »Dann sollen das eben andere machen. Du hast doch Wochenende!«
    Das war typisch für Jule. Völlig weltfremd. In ihrem Mikrokosmos aus Oberkasseler Geschäftsführergattinnen, Barbecue-Partys bei Anwaltsfreunden ihres dämlichen Mannes, Baby-Shopping auf der Kö und Meetings mit ihrer Styling-Beraterin war das Wort »Arbeit« völlig fremd für sie. Ganz und gar unerklärlich war ihr stets gewesen, dass der Begriff auch mit Attributen wie Vergnügen, Engagement und Leidenschaft verknüpft sein konnte – selbst wenn es um Schwerverbrecher, psychisch Kranke und Leichen ging.
    »Kein Wochenende, Julia«, seufzte Alex. »Hier geht es um einen furchtbaren Serienmord, und ich bin Teil der Maschine, um den nächsten zu verhindern und den Täter zu fassen. Es geht um meine ganz persönliche Verantwortung und nicht darum, bei Papa Würstchen zu grillen. Wenn ich hier gute Arbeit leiste, dann steht mir außerdem für die Zukunft eine Menge offen. Dieser Fall ist auch eine riesige Chance für mich – ein Glücksfall, auch wenn das makaber klingt.«
    »Das klingt nicht nur makaber, das ist sogar vollkommen geschmacklos«, sagte Julia säuerlich. »Irgendwann wird dich dein krankhafter Ehrgeiz noch mal in große Schwierigkeiten bringen. Man muss nicht immer die Beste sein und es allen beweisen wollen. Man kann auch anders glücklich werden.«
    Alex klemmte sich die Flasche unter den Arm und versuchte vergeblich, den Schraubverschluss mit einer Hand zu öffnen.
    »Weißt du, Jule, ich glaube, wir reden mal wieder aneinander vorbei. Das ist ein Gespräch auf verschiedenen Kommunikationsebenen.«
    »Gut, Dann sollten wir es beenden.«
    »Bist du jetzt sauer?«
    »Sauer nicht. Nur enttäuscht. Außerdem schreit die Kleine wieder.«
    »Okay.«
    »Bis dann – und pass auf dich auf.«
    »Mache ich.«
    »Mach das wirklich, Alex.«
    »Jahaaaaa!«
    Alex knallte das Handy auf den Schreibtisch, schaltete den Computer ein, schraubte endlich die Flasche auf und erfrischte sich mit einem kühlen Schluck. Was ärgerte sie sich auch über Julia … Sie hatte nun wahrlich andere Probleme am Hals.
    Mit einem Mal war das Spiegelbild wieder da. Die Bunny-Zeichnung, in deren Konturen sie sich selbst gesehen hatte. Konnte das wirklich bewusst erfolgt sein? War es geplant, dass sie sich in dem Bild sehen würde? Nein. Höchst unwahrscheinlich, so etwas zu inszenieren. Es waren ihre eigenen Ängste, die sie darauf projizierte. Gewiss, die Zeichnung war unmissverständlich eine weitere Ankündigung, die sie erschreckt hatte. Schließlich passte sie selbst in gewisser Weise in das Schema. Sie war eine Frau. Sie zählte jetzt zum Bekanntenkreis Marlon Krafts.
    Geh es noch einmal durch, geh alles noch einmal durch, ganz sachlich, Schritt für Schritt. Denk an die Flussdiagramme aus dem Studium, an alles aus dem Praktikum.
    Alex lehnte an der Balkontür und ließ ihren Blick über die Dächer der Stadt schweifen. Ein Teil des Nachthimmels war in buntes Licht getaucht. Die Sommerkirmes hatte begonnen, und weit hinten erkannte sie die obere Hälfte des sich drehenden Riesenrads – eines der größten Europas laut den Werbeplakaten, mit denen die Stadt gepflastert war. Hannibal strich schnurrend um Alex’ Beine, maunzte, streckte sich und verzog sich wieder auf den Korbsessel, als er keine Beachtung fand.
    Jede Tat ist eine Verkettung von Entscheidungen. Das Ziel muss ungeschützt sein. Die Tat kommt unerwartet, und der Täter darf nicht als solcher erscheinen. Er muss für eine Rückzugsmöglichkeit sorgen, falls überraschend ein Dritter auftaucht. Der Ort des Verbrechens darf nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden und muss geeignet sein, um unentdeckt zuschlagen zu können. Der Täter braucht Nervenstärke. Einen eisernen Willen und ein klares Ziel. Und vor allem benötigt er eines: Zeit. Zeit zur Vorbereitung. Zeit zur Ausführung. Zeit, um wieder zu verschwinden. Er darf nicht erwartet und nicht überwacht werden. Er muss in die

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