Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Kind zurechtweisen. Er nahm sie scheinbar wirklich nicht ernst.
»Dann also noch mal«, sagte Kraft und fragte: »Gibt es etwas Neues von der Spurensicherung?«
Alex biss sich auf die Lippe. Sie wusste nicht, ob es richtig war, aber Marcus hatte eine Zurechtweisung verdient – selbst, wenn er ihr Vorgesetzter war.
»Ja, es gibt etwas«, sagte sie, worauf Kraft blitzschnell seinen Notizblock zückte und Marcus sie entgeistert ansah.
»Das Opfer ist eine junge Frau. Sie war in der Mitte des Kornfeldkreises an vier Pfählen auf den Boden gefesselt. Vermutlich wurde sie dort mit einem scharfen Gegenstand getötet. Genaueres wird die Obduktion ergeben. Ich würde es als einen Ritualmord interpretieren.«
»Natürlich ist es dafür noch viel zu früh …«, fiel Marcus ihr ins Wort und bedeutete ihr mit einer Geste, dass sie wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank habe, während Krafts Kugelschreiber über das karierte Papier flog.
Alex nahm den Ball auf und unterbrach ihrerseits Marcus. »… und natürlich können Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt nichts davon verwenden, Herr Kraft, es sei denn, Sie wollen sich vom weiteren Informationsfluss abschneiden und eine Gegendarstellung riskieren.«
So, das Leckerli habe ich dir gezeigt. Jetzt sehen wir doch mal, ob du Männchen machst.
Marlon sah Alex fassungslos an. Dann drehte er sich zu Marcus, der die Augenbrauen hob und die Lippen schürzte.
»Was soll das denn jetzt?« Vor Krafts innerem Auge schienen sich gerade Überschriften wie
Opfermord im Kornfeldkreis
in Wohlgefallen aufzulösen. »Ich wette, Sie wissen noch nicht mal, was eine Gegendarstellung ist.«
»Stimmt«, antwortete Alex. »Das wissen andere besser. Aber ich weiß, dass der Täter morgen die Zeitung lesen wird. Wenn er sich falsch verstanden fühlt, wird er dafür sorgen, dass es ein nächstes, unmissverständliches Mal geben wird. Dafür können weder Sie noch ich die Verantwortung übernehmen. Wir haben es hier nicht mit einer Durchschnittstat zu tun. Wir sollten kooperieren.«
Alex spürte, dass sie einen Nerv getroffen hatte. Krafts rechtes Augenlid zuckte, die Lippen bebten. Dann drehte er sich zu Marcus, der interessiert zugehört hatte.
»Muss ich mir das bieten lassen?«, fragte Kraft.
Hast du Rückgrat?
Marcus klopfte Kraft auf die Schulter. »Tja, sieht so aus, als wäre ein neuer Sheriff in der Stadt. Und du weißt, dass sie recht hat.« Er blinzelte Alex zu, als freue er sich insgeheim, dass sie seinem vorwitzigen Freund über den Mund gefahren worden war.
Danke.
Am Mähdrescher hatten die Leichenbestatter mit ihrer Arbeit begonnen. Sie zogen aus dem grauen Kunststoffsarg schwarze Plastiktaschen, die so groß waren wie Müllsäcke. Auf der anderen Seite des Kornkreises suchten die Männer in den weißen Overalls weiter nach Spuren. Einer von ihnen kam mit durchsichtigen Plastiktütchen in den Händen auf Marcus zu. Im Vorbeigehen hielt er die Beweisstücke hoch, damit Marcus einen Blick darauf werfen konnte. Ein blutverschmierter Flipflop, der mit kleinen Strass-Steinen besetzte zerrissene orangefarbene BH , eine unauffällige Damenuhr, eine auffällige Gürtelschnalle, die aus den großen silberfarbenen Buchstaben D&G bestand. Marcus nickte, und der Mann ging weiter.
Alex war nicht entgangen, dass Kraft zusammengezuckt war, als er die Gegenstände gesehen hatte.
»Kooperieren wir also?«, fragte sie ihn.
Er sah sie an, als habe er die Frage nicht richtig verstanden, nickte dann aber steif, klemmte sich die Hände unter die Achseln und ging grußlos weg.
»He«, rief der Fotograf. »Und was mache ich?«
»Deinen Job! Mach deinen Job, Eddie!«, schrie Kraft ihn an und stakste durch das Kornfeld zurück zu seinem Auto. Der Fotograf pfiff durch die Zähne, machte noch ein paar Bilder und ging – ebenfalls, ohne sich zu verabschieden.
»Tja.« Marcus verscheuchte eine Wespe. »Über deine offensive Stellungnahme gegenüber der Presse werden wir auf dem Rückweg noch mal Klartext sprechen.«
»Tut mir leid, wenn ich …«, sagte Alex, aber Marcus hob abwehrend die Hände.
»Später. Wir haben hier noch anderes zu tun. Und was Kraft angeht, mach dir keine Gedanken: Der wird höchstens einen geharnischten Kommentar über das Verschleudern von Steuergeldern mit unnötigen Psychologenstellen bei der Polizei schreiben.«
In der Ferne grummelte es am wolkenverhangenen Himmel. Eine Brise kam auf. Alex nickte. Ja, Krafts heftige Reaktion war nicht zu übersehen gewesen. Alex war
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