Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Wer so genau weiß, was er tun will, der weiß auch, mit wem. Der hat sich nicht einfach eine von der Straße gegriffen, der wollte kein Zufallsopfer, eine Anhalterin oder so. Ich kann mir eher vorstellen, dass er das Opfer kannte, weil es auch von hier stammt.«
»Okay, danke, bleibt weiter am Ball.« Marcus hielt die aktuelle Ausgabe der
Neuen Westfalenpost
hoch. »Vielleicht meldet sich ja jemand aufgrund der Berichterstattung – haben alle unsere Kritiken von Marlon Kraft gelesen?«
Einige nickten, andere schüttelten den Kopf. Alex merkte auf. Das große Foto, das über die ganze Seitenbreite ging, zeigte den Kornkreis und einige Männer von der Spurensicherung. »Blutiger Mord im Kornfeld« lautete die riesige Headline. Marcus las einige Schlagworte vor. »Bestialisch ermordet, blablabla, Ritualtäter, Polizei tappt im Dunkeln und so weiter, bei dem Opfer soll es sich um eine bislang unbekannte blonde Frau handeln, modisch gekleidet, zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahre alt – und dann unsere Telefonnummer.« Marcus faltete die Zeitung zusammen und blickte über den Rand hinweg in die Runde. »Wer hat da gequatscht?« Schweigen war die Antwort, und als ob Marcus nichts anderes erwartet hatte, sah er, nach einem kurzen Blick zu Alex, wieder auf den Artikel und fügte hinzu: »Ach, und hier steht noch: Unterstützt wird die Polizei bei der Jagd nach dem Killer von ihrer neuen Profilerin, die seit einigen Wochen das Ermittlerteam verstärkt.«
Alex schluckte. Profilerin? Kraft hatte außerdem geschrieben, dass sie die Arbeit der Polizei »unterstütze« und sie »verstärke«, was danach klang, als seien die Kollegen alleine nicht in der Lage, die Sache in den Griff zu bekommen. Ihr schwante Böses, als Kowarsch sie ansah und fragend »Ach, Profilerin?« murmelte.
»Das ist nur Kraft, lass mal, Mario«, sagte Marcus besonnen und legte die Zeitung wieder zur Seite, »der trägt immer etwas dicker auf.«
Alex presste die Lippen zusammen und schob ihre Kladde einen Millimeter weiter nach rechts. Gut, es klang etwas überzogen, und ihre Erwähnung in dem Text war sicherlich unglücklich, aber nahm Marcus sie etwa nicht ernst? Profilerin war nun einmal das englische Wort dafür, auch wenn der Begriff mit einigen Klischees behaftet war.
»Also, jetzt wieder zur Sache hier.« Marcus fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Wir haben es mit einer bizarren Tat zu tun. Ihr könnt euch vorstellen, Kollegen, dass ich heute schon Telefonate mit einigen aufgeregten Vätern dieser Stadt deswegen hatte, und ich will, dass wir mit Hochdruck vorgehen. Der Staatsanwalt wollte schon eine Pressekonferenz ansetzen, aber ich habe ihn zunächst noch davon abbringen können. Die ganzen Tatumstände sind Futter für die Medien, und wir müssen davon ausgehen, dass sich das zu einer Nummer auswachsen kann wie damals bei der Geiselnahme im Kindergarten, an die ich heute noch mit Grausen zurückdenke.«
»Ja gut«, brachte sich Schneider in Marcus’ Monolog ein und rieb sich die Augen, »ist ja nicht so, dass ich heute Nacht meinen Schönheitsschlaf gemacht hätte.« Er goss sich Mineralwasser ein, trank einen großen Schluck und faltete dann die Hände auf dem Tisch. »Ich fange mal mit diesem Kornkreis an. Solche Gebilde tauchen immer wieder mal auf, und viele Internet-Communitys befassen sich mit dem Phänomen. Einige halten Marsmännchen für die Schöpfer solcher Strukturen, aber es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Methoden zum Anfertigen von Kornkreisen, die in Foren oder Blogs nachgelesen werden können. Was unseren Kornkreis angeht, so erfüllt er die Voraussetzungen für einen sogenannten echten Kreis – das heißt: Die Spitzen der Ähren sind großer Hitze ausgesetzt gewesen. In Zirkeln der Aliengemeinde glaubt man, dass die Ähren von Triebwerken angesengt worden sind.«
Alex betrachtete Schneider mit wachsendem Respekt. Wo war seine sonst so schnodderige Art geblieben? Wenn er bei der Sache war, schien er wie ausgewechselt. Offensichtlich hatte sie ihn sträflich unterschätzt – oder besser: Trotz ihrer recht ausgeprägten Menschenkenntnis hatte sie ihn in eine falsche Schublade einsortiert.
»Unsere Getreidehalme«, fuhr Schneider fort, »sind nicht geknickt, sondern gebogen, und sie verlaufen in einem Wirbel. Gemacht werden solche Kreise normalerweise mit Brettern. Mit Beamern oder Overhead-Projektoren wird ein Muster auf das Feld geworfen und anschließend das Getreide mit Brettern
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