Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Anfängerin, die Möglichkeit zum Profilieren für die Profilerin, lass die Welle nicht vorbeiziehen, sondern reite sie.
Alex raufte sich die Haare, seufzte und trank den letzten Rest des extrastarken Kaffees, der bislang keinerlei Wirkung gezeigt hatte – außer, dass sie bald schon wieder auf die Toilette musste. Schließlich schob sie den Stapel von Statistiken über jugendliches Kriminalitätsverhalten im Landkreis beiseite, legte ihn parallel zur Kante ihrer Schreibtischunterlage und den Kugelschreiber mittig auf das Deckblatt, schlug ihre Ledermappe auf, griff nach dem Telefon und wählte. Es ging ihr zwar gegen den Strich, aber dieses Gespräch musste sein, damit sie auf der sicheren Seite war.
»Ah, guten Morgen, Frau von Stietencron«, sagte Dr.Johannes Stemmle, der Projekt-Koordinator bei der Operativen Fallanalyse beim LKA , »ich hätte Sie ebenfalls angerufen.«
»Oh, hätten Sie?«
»Nun, es ging durch die Medien, diese Mordgeschichte bei Ihnen in Lemfeld. Ich hoffe, das überfordert Sie nicht?«
»Ähm«, entgegnete Alex verdutzt und richtete sich gerade im Schreibtischstuhl auf. »Nein, das überfordert mich nicht, keinesfalls. Ich bin dafür ausgebildet und bestens vorbereitet, wie Sie wissen.«
»Mhm«, brummte Stemmle. »Und weswegen rufen Sie mich dann an?«
»Es geht nur um eine Sachfrage bezüglich meiner Kompetenzen«, sagte Alex und schob die Papiere auf ihrem Schreibtisch in gleichem Abstand nebeneinander.
»Sind die denn strittig?«
»Nein.« Alex schüttelte den Kopf. »Aber bei dem vorliegenden Mordfall handelt es sich um eine recht bizarre Angelegenheit, und wenn eine Soko gebildet wird, wäre es sicher prädestiniert für die Einbindung der Fallanalyse.«
Alex hörte Stemmle am anderen Ende der Leitung tief durchatmen. »Also, Frau von Stietencron, wenn der Kommissionsleiter die OFA einbinden will, wird er das beantragen. Und wenn ich das auf den Tisch bekomme, werde ich ihn anrufen und ihn fragen: Wozu haben Sie solche Klimmzüge unternommen, damit Ihre Behörde in das Pilotprojekt aufgenommen wird? Wozu legt das Land solche Programme auf, damit dann doch auf alten Pfaden getrampelt wird? Und danach würde ich Sie anrufen und Sie fragen: Wieso machen Sie Ihre Arbeit nicht?«
Alex schluckte. »Es ging mir lediglich um die Frage, wie weit ich mich in einen solchen Fall einbringen kann, ohne jemandem auf die Füße zu treten.«
Stemmle lachte. »So, wie ich Sie kennengelernt habe, wird sich das sowieso nicht umgehen lassen. Aber noch mal ganz konkret: Ich lasse hier alles so lange laufen und höre und sehe nichts, bis ich einen Anruf oder ein Fax bekomme. Ziel des Projekts ist, die Zentralen zu entlasten. Was meinen Sie, wie sich hier die Fälle stapeln? Es dauert Wochen, wenn nicht Monate, bis wir Gutachten beibringen und Anfragen beantworten können. Ich freue mich jedenfalls, wenn Sie zum Erfolg des Projekts beitragen und die Kripo mit Ihrer Sachkenntnis unterstützen. Wenn das alles eine Nummer zu groß wird, sind wir ja immer noch da. Außerdem sind Sie noch recht jung, und falls es Fragen oder Probleme gibt, rufen Sie mich halt an, und wir sehen weiter und entscheiden neu.«
»Mhm.« Alex schluckte. Jeder Anruf bei Stemmle wäre gleichbedeutend mit der Aussage, dass sie es nicht draufhatte. Ganz gleich, ob sie sich selbst meldete oder Marcus oder sonst jemand. Es wäre ein Eingeständnis ihrer Unfähigkeit und würde Stemmle in seinen Vorurteilen ihr gegenüber bestätigen. So väterlich er am Telefon auch klang. Ihr war klar, dass es darauf hinauslief. Friss, Vogel, oder stirb. Das alte Spiel. Immerhin hatte er ihr signalisiert, dass sie so lange freie Hand hatte, bis Marcus ihr die Grenzen aufzeigen würde. Wie weit diese gefasst waren, würde sie eben selbst herausfinden müssen.
»Gut, dann weiß ich Bescheid, Herr Stemmle. Vielen Dank.«
»Und wie gesagt – wenn es Fragen gibt, melden Sie sich.«
»Ja, werde ich.«
… garantiert nicht!
Stemmle legte auf.
Als sich die Bürotür öffnete, drehte sich Alex um und sah in das grinsende Gesicht von Kowarsch.
»Kann man auch mal anklopfen?«, fragte sie genervt.
»Ich bin dafür bekannt, mit der Tür ins Haus zu fallen«, sagte Kowarsch säuselnd, und noch während sich Alex in Gedanken den Finger in den Hals steckte, deutete er auf seine Uhr: »Kurz nach zehn, Frau Doktor. Lagebesprechung mit Cheffe.«
[home]
9 .
A lex zwang sich, nicht auf die Blicke zu achten, die sie beim Betreten des Konferenzraums
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