Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Wahrscheinlich mit einer ihrer Freundinnen.« Dann sah er Alex in die Augen. »Wer tut so was? Wer bringt denn Menschen um? Warum?«
»Das weiß ich nicht. Aber wir wollen es herausfinden, und dazu brauchen wir Ihre Hilfe.«
»Sie sind den ganzen Abend hier gewesen?«, hörte Alex Marcus fragen. »Die ganze Nacht?«
»Sehr lange, ja«, sagte König und sah auf. Alex stellte sich wieder hin.
»Hat Sie jemand gesehen?«, fragte Marcus trocken und machte sich Notizen. Als Alex einen Schritt zurücktrat, sah sie, dass Marcus nur Kringel in den Block malte.
»Warum?«, fragte König besorgt.
»Also nicht«, stellte Marcus fest.
»Warum fragen Sie mich das? Was … was wollen Sie damit sagen?«
»Reine Routine.« Marcus klappte den Notizblock zusammen und ließ ihn in der Gesäßtasche verschwinden.
»Verdächtigen Sie etwa
mich?
«, rief König und sprang auf. »Stehe ich jetzt unter Mordverdacht? Ich habe sie geliebt!«
»Beruhigen Sie sich«, bat Alex. »Niemand sagt, dass Sie unter Verdacht stehen. Wir müssen nur alles genau wissen, wir …«
»Ich habe sie doch nicht umgebracht!«
Marcus hob beschwörend die Hände. »Ich wollte nur wissen, wo Sie waren. Mehr nicht. Es gehört zu unserer Arbeit. Ich verstehe Ihre Situation, Herr König, und es ist mir wirklich unangenehm, Ihnen diese Fragen zu stellen. Ich will Sie keinesfalls damit verletzen, bitte verstehen Sie das. Sie haben die ganze Nacht an Ihrem Projekt gearbeitet. In Ordnung. Mehr wollte ich nicht wissen.« Marcus zog aus seiner Hemdtasche eine Visitenkarte und legte sie in das Metallregal. »Übrigens: Was ist das eigentlich für ein Projekt, an dem Sie arbeiten? Landvermessung? Ich wollte früher auch mal Architekt werden, aber das hier sieht mir ja eher nach Tiefbau aus.«
König beruhigte sich. »Ja«, sagte er abwesend. »Eine Art Vermessungsprojekt für meine Studenten, das ich in den Semesterferien angeboten habe.«
»Dazu braucht man diese Stangen in der Ecke, richtig? Zum Nivellieren?«
König nickte und setzte sich seine Brille wieder auf.
»Und diese Seile hier?« Marcus tippte auf zwei Rollen fingerdicke Nylonstricke. Sie waren Alex zwischen all den Gerätschaften gar nicht aufgefallen.
»Zum Abstecken«, seufzte König. »Hören Sie«, fügte er hinzu, »ich bin etwas … ich bin jetzt ziemlich …«
»Natürlich, wir gehen jetzt. Wenn Ihnen etwas einfällt, rufen Sie mich bitte an. Hier liegt meine Karte.«
»Auf Wiedersehen, Herr König.« Alex nickte ihm zu, und Marcus tat es ihr gleich.
Müde hob König die Hand.
Beim Hinausgehen drehte sich Marcus noch einmal um. »Ach ja, ich hatte noch etwas vergessen. Ihre Samos-Reise: Die werden Sie sicherlich sowieso stornieren. Wenn nicht, möchte ich Sie zumindest sehr darum bitten, okay?« Und damit schloss er die Tür.
»Puh.« Alex atmete tief durch, als sie die FH durch das Hauptportal wieder verließen. Die Anspannung fiel von ihr ab. Dafür schlug ihr die Nachmittagshitze wie eine Wand entgegen. »Das war hart.«
»Wie ist dein Eindruck?«, fragte Marcus ungerührt und setzte im Gehen seine Sonnenbrille auf.
»Schwierig. Er verbirgt etwas. Das ist sicher. Und dass er die ganze Nacht hier gewesen sein will … Na ja. Das Schließsystem und die Videoüberwachung lassen sich zwar überprüfen, aber …«
»Und wie ist dein Gefühl?«
»Ich bin mir nicht sicher. Wir wissen noch zu wenig. Er hätte zumindest die Gelegenheit gehabt. Und diese Seile in dem Regal …«
»… sahen zwar aus wie unsere Nylonseile – aber dennoch gibt es sie in jedem Baumarkt«, komplettierte Marcus den Satz. »Seine Schuhgröße würde ich übrigens auf 42 schätzen. Da hätte er in 46 er-Turnschuhen reichlich Platz, richtig?«
Alex sah Marcus erstaunt an. Darauf hatte sie nicht geachtet. Sie war viel zu sehr in ihrer empathischen Rolle aufgegangen, zu der Marcus intuitiv sofort den Gegenpol gebildet hatte.
»Und die Sache, an der er da arbeitet …« Marcus entriegelte mit der Fernbedienung den Wagen und öffnete die Tür. »Das Luftbild an der Wand hat Felder gezeigt.«
Alex nickte zögernd und öffnete ebenfalls die Tür.
»Du hast mir heute Morgen von einem Uni-Projekt erzählt, in dem Studenten so einen Kornkreis nachgemacht haben.«
Alex ahnte, was kommen würde.
»Ich glaube«, stellte Marcus fest »dass wir den Architekten soeben kennengelernt haben.«
In Alex’ Gedanken fügten sich einige Mosaiksteinchen zusammen. Hatte sie denn keine Augen im Kopf? Sie
Weitere Kostenlose Bücher