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Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache

Titel: Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Koch
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Polizeibüros und Staatsanwaltschaften vor ihm vertrauliche Dokumente aufgeschlagen worden waren. Da war ein Wappen auf dem Faxkopf. Darunter stand etwas, was Spanisch sein mochte. Schließlich hatte Engberts das Behandlungsprotokoll gefunden. »Ja, das C- 12 hat Herr Roth auch bekommen. Sie wissen ja, wie es wirkt. Sich zu fürchten«, begann Engberts gestikulierend zu dozieren, »gehört zu den menschlichen Grundgefühlen. Eine Gefahr zu spüren ermöglicht die Gegenwehr oder Flucht. Im Moment der Angst geht unser Körper in Alarmbereitschaft. Die Muskeln werden angespannt, das Herz rast, die Atmung beschleunigt sich, Schweiß bricht aus, die Verdauung setzt aus, alle Sinne sind alarmiert. Aber wenn die Angst sich verselbständigt, wird sie zu einer allgegenwärtigen Bedrohung und zur Panik. Immer mehr Menschen leiden weltweit an solchen Störungen. Katastrophen, Vergewaltigungen, Folter, Kriege, Terroranschläge – das nimmt leider zu. Die Opfer leiden an schlimmen Symptomen wie Flashbacks und Erinnerungslücken …«
    In der Tat tun sie das. Und wie sie das tun.
    »Aber endlich verfügen wir über ein Medikament gegen die unerwünschten Erinnerungen. C- 12 ist ein Mix aus Betablockern und dem Stresshormon Cortisol, der, vereinfacht gesagt, den negativ belegten Emotionsspeicher im Gedächtnis hemmt, in den sich schreckliche Ereignisse einbrennen. Gerade bei Traumata machen Angst und das permanente Wiedererleben der belastenden Situation eine Therapie in manchen Fällen unmöglich. C- 12 unterbricht diese Routine. Damit gelangen wir hinter Türen, die vorher verschlossen waren. An die Auslöser.« Engberts legte das Krankenblatt beiseite und schlug die Beine übereinander. »Herr Roth ist in seiner Kindheit sexuell missbraucht worden, das ist aktenkundig und, wie Sie ja sicherlich wissen, vor Gericht offiziell bestätigt worden. Dieser Missbrauch hat die zuvor latent vorhandene Krankheit zum Ausbruch gebracht. Roth ist in eine selbst erschaffene Welt geflohen, um vor dem Bösen an einen sicheren Ort zu entkommen. Ohne das C- 12 wären wir in dieser kurzen Zeit niemals so weit vorgestoßen, um das Erlebte aufarbeiten zu können. Sie kennen ja die Wirkung in Ansätzen selbst. C- 12 besiegt die Furcht und nimmt den Schrecken. Es lässt die Angst vergessen.«
    »Missbraucht?«, fragte Marlon erstaunt den teilnahmslos zuhörenden Roth.
    »Ja. Mein Onkel Günther.« Roth nickte. »Er lebt nicht mehr. Er hatte einen Unfall. Ich musste nett zu ihm sein, und dafür habe ich Süßigkeiten und Geschenke bekommen. Es war unser Geheimnis. Ich durfte niemandem etwas verraten. Mein Onkel war krank. Das weiß ich jetzt. Ich habe ihm vergeben.«
    Marlon steckte sich noch eine Zigarette an. Es war erstaunlich, wie klar Roth sprach. Natürlich stand er unter Medikamenten. Dennoch …
    »Aber«, warf Engberts ein, »wir sind noch nicht zu dem Anlass Ihres Besuchs gekommen, Herr Kraft. Sie hatten einige Fragen. Bitte stellen Sie sie jetzt. Ich habe nicht mehr viel Zeit.«
    Marlon zog an der Zigarette und sah Engberts in die Augen. Mit dem Mann war etwas nicht in Ordnung. Vielleicht brachte das der Beruf aber auch einfach mit sich.
    »Einige haben Sie bereits beantwortet. Da bleibt nur noch eine einzige übrig«, sagte Marlon, und Engberts bedeutete ihm, dass er sie stellen möge.
    Jetzt. Tu es.
    »Was hat es mit dem Purpurdrachen auf sich?«
    Roth sah kurz zum See hinaus, senkte dann den Blick und faltete die Hände. Die Füße waren nach wie vor in ständiger Bewegung und knirschten in dem Kies. Engberts lächelte ein Lächeln, das in seiner breiigen Visage wie eingestanzt aussah. Die Augen blieben kalt.
    »Ich hatte gedacht«, sagte Roth leise, »Sie wüssten das. Ich habe Sie damals gefragt, und Sie haben gesagt, Sie wüssten es. Sie haben gelogen. Lügen ist nicht gut. Vor allem nicht, weil Sie bei der Zeitung sind. Lügen ist nicht gut.«
    Falsche Frage, nächste Frage.
    Schweiß lief Marlons Rücken herab. Eine Wespe tanzte vor seinem Gesicht. Er verscheuchte sie mit etwas Zigarettenrauch.
    »Ich habe nicht gelogen«, antwortete er mit fester Stimme. »Aber ich weiß natürlich nicht alles über den Drachen. Ich habe ihn auf Ihrem Hemd gesehen damals im Kindergarten. Ich weiß, dass Ihre Freunde im Backgammon-Club Sie nach dem Drachen benannt haben. Ich weiß, dass er für Sie sehr wichtig sein muss, und ich glaube, dass er so etwas wie ein Talisman ist. Im Kindergarten hatte ich Angst. Wenn ich nicht die Wahrheit gesagt

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