Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
Analyse zur Verfügung zu stellen.«
Das war nicht gelogen. Aber auch nicht ganz korrekt. Alex machte eine Pause, um zu sehen, wie Marcus die Nachricht aufnahm. Er saß wie versteinert da. Reineking neben ihm blickte auf die Uhr und streckte sich.
»Jürgen Roth«, fuhr sie fort, »lebt nach seinem Aufenthalt in der Forensischen Psychiatrie derzeit im Luisenstift, ist unter Obhut und medikamentös eingestellt. Zudem gilt er nach den psychiatrischen Gutachten als nicht aggressiv beziehungsweise gefährlich. Außerdem ist Roth diesbezüglich in der Vergangenheit nie aufgefallen und hat also keinerlei kriminelle oder gewalttätige Karriere. Nur weil er psychisch krank ist, ist er noch lange nicht unser Mann. Zumal die damalige Aktion, als er in den Kindergarten marschierte, kaum vergleichbar ist: Er wollte die Menschheit warnen und niemandem schaden. Schließlich führte er ja auch nur eine Spielzeugwaffe mit sich – obwohl wir wissen, dass er über seinen Vater problemlos an schussfähige Waffen hätte gelangen können. Gleichwohl habe ich den Klinikleiter noch nicht erreichen können und werde ihn wohl persönlich aufsuchen müssen. Dennoch sollten wir Roth und seine Vergangenheit für einen Moment ausklammern und einen anderen Blickwinkel einnehmen. Ich halte es für möglich, wenn nicht sogar für sehr wahrscheinlich, dass wir es mit einem Täter zu tun haben, der bewusst den Spitznamen Roths verwendet. Nach meiner Einschätzung will er sich durch seine Taten in den Drachen verwandeln, um so viel Macht und Stärke zu erlangen, dass er sich seinem endgültigen Ziel widmen kann. Und ich glaube, dass es sich dabei um Marlon Kraft handelt.
Im Moment besteht die Möglichkeit, dass Roman König der Täter ist. Er war der Freund von Sandra Lukoschik, er hat mit seinen Studenten den Kornkreis angelegt, der Getränkemarkt, in dem Juliane Franck arbeitete, liegt gegenüber der FH . Eifersucht und Wahnsinn könnten ein Motiv sein, wobei wir nicht wissen, welche Rolle dabei Marlon Kraft spielen sollte, der schließlich seit langem nicht mehr mit Sandra Lukoschik liiert ist.«
Alex nahm den Ausdruck aus ihrer Kladde, den sie aus dem VICLAS gemacht hatte. Sie heftete ihn nebst der Kopie eines Zeitungsausdrucks und eines Fotos an die Pinnwand.
»Das ist Ludger Siemer«, begann sie und nahm einen Waschzettel zu Hilfe, den sie am Vormittag bei der Recherche über Siemer zusammengeschrieben hatte. »Er war bei der Düsseldorfer Kripo in der Drogenfahndung. 1996 hat er auf offener Straße drei junge Männer erschossen. Ursache war seine teils unterschwellige, teils ausgelebte Homosexualität. Siemer war Stammgast in der Stricherszene und bekannt dafür, gegen sexuelle Gefälligkeiten Drogenbesitz oder -handel durchgehen zu lassen. Siemer war verheiratet, hatte zwei Töchter und ein fast abbezahltes Einfamilienhaus. Das klassische Doppelleben. Marlon Kraft veröffentlichte einen Zeitungsartikel, in dem er den flüchtigen Siemer als Homosexuellen outete. Daraufhin erschoss Siemer seine Frau und die beiden Kinder. Er wurde gefasst, verurteilt und gelangte aus der Sicherungsverwahrung in die Psychiatrie. Heute ist er auf freiem Fuß und in tagesambulanter Behandlung. Siemer dürfte noch eine Rechnung mit Kraft offen haben frei nach dem Motto: Mach kaputt, was dich kaputt gemacht hat. Als ehemaliger Polizist verfügt er über das Knowhow unserer Ermittlungsmethoden. Er weiß, wie er sich Zugang zu Datenmaterial über Marlon Kraft und Jürgen Roth verschaffen kann.
Bleibt am Ende die Frage, welche Affinität Siemer oder Roman König zu dem chinesischen Tierkreis haben könnten und was der Purpurdrache für Roth genau bedeutet. Mein Ziel ist, das heute im Luisenstift zu klären. Das dürfte uns weiterbringen.
Was die möglichen Blutspuren des Täters unter den Fingernägeln von Sandra Lukoschik angeht, so wissen wir …«
»… dass Betablocker in einer seltenen Kombination vorgefunden wurden«, fiel ihr Marcus ins Wort. Er zog aus einer Mappe den Untersuchungsbericht und schob ihn ihr zu. »Ich hatte die Analysen aus der Rechtsmedizin erwähnt. Wir haben jetzt ein detaillierteres Gutachten aus der Kriminaltechnik – dafür hab ich dem LKA die Hölle heißgemacht.«
Alex überflog die Zeilen und schluckte.
»Die Betablocker-Kombination«, erklärte Marcus, »besteht aus Komponenten, die auch in einem Medikament mit der Bezeichnung C- 12 enthalten sind. Im Wesentlichen besteht es laut Bericht aus einer Mischung von Betablockern
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