Alexandra von Stietencron Bd. 1 - Purpurdrache
weiteren Informationen behilflich sein, Herr Kraft?«
»Ich bin mir sicher, das mir da noch etwas einfallen wird, Frau Tressel. Aber die Zeit drängt. Ich würde Ihnen dann in Kürze einige Fragen zukommen lassen, die ich Ihrem Geschäftsführer …«
»Unserem Vorstandsvorsitzenden«, korrigierte sie.
»Gerne auch dem, ja«, lachte Marlon entschuldigend. »Nun, ich habe noch einiges zu erledigen, aber ich bedanke mich sehr für das Gespräch, Frau Tressel.« Marlon stand auf und reichte ihr die Hand.
»Sehr gerne, Herr Kraft. Lassen Sie es mich wissen, wenn ich Ihnen erneut dienen kann.«
Sicher. Da fällt mir schon was ein, Baby, wie du mir dienen kannst.
»Natürlich«, sagte Marlon, verabschiedete sich und strebte mit weit ausladenden Schritten zum Ausgang. Draußen schlug ihm die Hitze entgegen, und Marlon keuchte kurz auf. Ihm war schwindelig, und er war sich nicht sicher, ob das nur an dem massiven Temperaturunterschied lag.
Mental Sana. Meridian Health.
Luisenstift. Purpurdrache. Was hatte das alles miteinander zu tun? Als er am Wagen angekommen war, musste Marlon sich einen Augenblick festhalten.
Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Auf die Mitte konzentrieren. So wie Viviane es dir gezeigt hat.
Als der Anflug vorbei war, sprang Marlon in den TT und fuhr mit Vollgas davon.
[home]
33 .
S ergej Wagener, genannt Serge, war zwar ein zwielichtiger Typ, aber sympathisch und absolut zuverlässig. Der stämmige Deutschrusse war ein Tier von einem Mann. Stiernackig, kahlgeschoren, jeder einzelne Muskel im Fitnessstudio perfekt trainiert. Ein Mann, der auf sein Äußeres großen Wert legte und regelmäßig zur Kosmetikerin ging. In der Regel verdiente er sein Geld damit, Unfallwagen aufzukaufen, auf seinem Schrottplatz wieder herrichten zu lassen und an einen Großhändler zu verscherbeln, der die notdürftig zusammengeflickten Kisten nach Afrika verkaufte, wo kein Wert auf TÜV und Sicherheit im Straßenverkehr gelegt wurde. Bei den explodierenden Kupferpreisen machte er in letzter Zeit Reibach mit armdicken Stromkabeln, die wahre Rudel von Polen und Tschechen auf Baustellen klauten und in der Nacht mit Kombis und Kleinlastern zu Serge schafften. Ansonsten galt in der Halb- und Unterwelt: Wenn du etwas brauchst oder etwas schnell verschwinden muss, du es im Sommer schneien lassen willst oder dich mit anderen Substanzen wegknipsen möchtest, ist Serge dein Freund.
Auf dieser Grundlage hatte Marlon ihn seinerzeit kennengelernt. Es war die heiße Zeit, als Marlon gerade zurück nach Lemfeld gekommen war und mehrmals pro Woche über die Straßen donnerte, um sich in das Nachtleben am Rhein zu stürzen. Zudem hatte er kleinere Jobs für Serge und gelegentlich etwas mit rüber nach Düsseldorf genommen oder von Düsseldorf aus mit nach Lemfeld gebracht. Serge hatte ihm im Gegenzug bei Bedarf hilfreiche Insider-Informationen zu Recherchen gegeben, Marlons TT reparieren lassen und ab und zu ein Tütchen Koks spendiert. Sie waren lose Kumpel geblieben, auch nachdem Marlon clean gewesen war. Jetzt war es an der Zeit, die alten Verbindungen zu reaktivieren, denn es gab außer Dope noch zwei andere Dinge, die man von niemandem unkomplizierter und schneller bekommen konnte als von Serge. Und er würde keine Fragen stellen.
Marlon hatte den Wagen auf dem großen Hof geparkt und schlich zwischen Gassen aus verrostetem Metall, Bergen von Altreifen und Autowracks auf den Baupavillon zu, in dem Serge sein Büro hatte. Es stank nach Altöl, Sprit und Gummi. Die Luft war staubig. Serges vollklimatisiertes Büro war erlesen eingerichtet und hätte dem Showroom eines Designer-Möbelhauses alle Ehre gemacht. Aus der Surround-Anlage sangen die Temptations »I can’t help myself«.
»Marlon!« Serge stand vom Schreibtisch auf, griff mit beiden Händen nach Marlons und schüttelte sie mit festem Druck. Über einer schlichten schwarzen Hose mit eleganten Hosenträgern trug er ein erlesenes weißes Hemd, das bis zur Mitte der Brust aufgeknöpft war. In dem dunklen Pelz glitzerten zwei Goldketten, an denen mit Brillanten besetzte Kreuz-Anhänger baumelten.
»Setz dich, mein Junge. Was führt dich zu mir, alter Freund?«, säuselte Serge in seinem dezenten russischen Akzent.
»Ach, so dies und das«, sagte Marlon und ließ sich auf das Ledersofa plumpsen.
»Du siehst nicht gut aus, Junge. Bist du krank? Gehst du denn nicht einmal ins Freibad oder an den See bei diesem wunderbaren Wetter?«, fragte Serge. »Brauchst du was
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