Alfred - König der Angel-Sachsen
Zustand einer unordentlichen Aristokratie, die zugleich das Reich der Verwirrung war. Es hatte sich selbst die Gewalt genommen, über das gemeine Beste von Allen etwas zu beschliessen; ein eigensinniger Trozkopf, ein erkaufter Miehtling, konte das Rad der Regierung im Laufe aufhalten, an welchem hundert tausend Edle vergebens arbeiteten. Es kam dahin, daß die Geseze ärger, als die Laster, und der Aufruhr eine Folge der Geseze war. Alle Tugenden des Königs und der Edlen giengen für das Volk verlohren, weil die Unordnung ein genugsamer Vorwand zum Aufstand worden war. Die benachbarten Fürsten sahen die unverbesserliche Schwäche des Reichs ein; sie theilten es ruhig unter sich, wie Brüder die Felder ihres Vaters theilen, und die undankbaren Edlen, denen der Zaum der Geseze unerträglich gewesen war, geriehten unter das Joch der unumschränkten Macht. Nicht die Verderbniß der Sitten, nicht böse Fürsten, hatten am Unglüke des mächtigen Volkes Theil, sie lag allein in ihrer unsinnigen Staatsverfassung.«
»Allerdings ist es also eine würdige Sorge des Weisen, die Theile des Staats so richtig gegen einander abzuwägen, daß sie einander ein Gleichgewichte halten, daß nicht die Macht des einen Theils, einzeln den Ausschlag geben, sondern das gemeine Beste allein alle Machten in eine gemeinschaftliche Richtung vereinigen könne. Eine solche Staatsverfassung würde die Nation wider die heftigen Umstürze versichern, die andere Staaten oft zum Schutte machen: sie würde die Ehre und das Eigenthum eines jeden Bürgers von der Gefahr befeyen, durch einen Mächtigern, oder durch die Vorurtheile einer irrenden Menge verloren zu gehn: sie würde die Kraft des Staates vermehren, indem sie seinen Gliedern nicht zuliesse in entgegengesezten Richtungen zu arbeiten, sondern sie in einem Mittelpunkte zusammenzöge, der der vereinigte Willen aller Theile wäre.«
»Amund, sagte Alfred, dünkt mich wie ein Arzt zu sprechen, der gründlich zeigt, wie erwünscht ein Heylsmittel wäre, das das Erhizte kühlte, das Erkaltete hizte, das Schlappe anstrengte, das Verhärtete erweichte, das allen entgegengesezten Uebeln hälfe. Leicht würde er mich überzeugen, ein solches Mittel wäre die würdigste Gabe des Himmels: aber schwer würde es ihm werden, diese Arzney auszufinden.«
»Die Natur, sagte Amund und lächelte bescheiden, hat die Mittel unsre Kankheiten zu heilen in der Nähe wachsen lassen; der Menschen Pflicht ist es sie zu kennen und anzuwenden. Die Staatsverfassung, die die meisten algemeinen Uebel vermeidet, ist den Deutschen und Nordischen Völkern angebohren; sie steigt in das verborgene Alterthum hinauf, die Cherusker kanten sie, die den Römern überlegen waren, und noch ist sie in Scandinavien erhalten worden: die Sachsen sind davon abgegangen. Es wäre ein Werk, würdig eines Alfreds, eine Einrichtung wieder aufzuweken, bey welcher die Ahnen der Sachsen frey, steitbar, und allen ihren Feinden zu mächtig gewesen sind.«
»Ich kenne drey Theile, die ein Volk, ein großes Volk, wesentlich ausmachen müssen. Denn bey einem kleinen Staate wird ein Fürst minder erfodert; ein großes Reich aber hat zu viele Geschäfte, als daß sie durch eine Menge von Beherrschern befördert werden, als daß sie durch die Berahtschlagungen von Vielen ohne eine schädliche Verlängerung entschieden werden könten. Ein großes Reich muß auch viel zu große Aemter, und zu große Gewalt einem Bürger vergeben, als daß die Geseze ihnen zum genugsamen Zaum dienen könten; es muß Heere halten, und auch diese würden den Feldherrn bald zum überwegenden Bürger machen. Rom verlohr das Gleichgewicht, da es alzu ausgebreitete Länder, alzu zahlreiche Legionen hatte; ein Sylla, ein Pompejus, ein Cäsar waren den ohnmächtigen Gesezen zu groß.«
»Ein König muß also über ein großes Volk gebieten; die ausübende Gewalt, die Lenkung der Heere, die Unterhandlungen mit andern Völkern, alles was nur einen eilfertigen Entschluß fodert, selbst die Wahl des Krieges und des Friedens muß ihm überlassen seyn. Die Geseze herrschen unter seinem Nahmen, er nent die Richter, er ist der Quell des Adels, und der Ehre, er wählt zu den Aemtern, sein Beyfal muß zur Errichtung der Geseze, und zu allen großen Entschlüssen der Nation, eingeholt werden; das Volk muß ihn mit genugsamen Reichthümern unterstüzen, den Glanz eines Hofes zu unterhalten, des Reiches Würde gegen seine Mitbürger zu behaupten, die nüzlichen Künste und der Darbenden
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