Alfred - König der Angel-Sachsen
wie bey den Europäern, mit Bösem vermischt. Die Wilden vertragen sich so wohl, als diejenigen, über deren Zorn ein rächendes Gesez wacht; nur selten wird einer der Wilden einen andern ihm gleichen Menschen beleidigen oder schlagen. Viele Gesinde leben in einer einzigen Hütte kaltsinnig, aber freundschaftlich mit einander. Ueber der Theilung der gemeinschaftlichen Beute entsteht selten ein Zank; selbst die Liebe, die auch unter den Thieren die blutigsten Kämpfe erwekt, stört den Gleichsinn dieser einsamen Nordländer nicht.
Sie sind allerdings noch kälter gegen einander in den Pflichten der Menschenliebe. Ein Kind, dessen Mutter stirbt, muß unvermeidlich sterben, weil kein anderes Weib sich des Elenden annimt. In ihren Krankheiten genissen sie von ihren Nächsten nicht alle die Dienste, die gesittete Völker einander erweisen; bey ihren vielen Abwechslungen der Wohnpläze ist ein Kranker für die Gesunden eine Last, womit sie sich nicht beladen können. Da kein Rächer der verlezten Geseze dem Uebelthäter droht, so hat wohl eh ein Zank einen Todtschlag nach sich gezogen. Der erboßte Wilde, der seinen Feind in der einsamen See allein antrift, hat zuweilen desselben Boot umgeworfen, oder ihn heimlich von einem Felsen gestürzt. Doch sind diese Uebelthaten nicht häufig, und nicht gemeiner, als bey denjenigen Völkern, die unter der strengsten Zucht der Religion und der bürgerlichen Straffen leben.
Die Ehen sind eben so beständig, und eben so einig, wie bey andern Nationen; nur ist die Unfruchtbarkeit verhaßt, weil die Kinder, und vornehmlich die Söhne, die einzige Hülfe sind, die in ihrem Alter die Eltern in den Gegenden zu hoffen haben, wo die Menschen nicht nahe genug mit einander verbunden sind, um andern in ihrer Noht beyzustehen.
Das Gefühl der Ehre ist so stark, als bey den gesitteten nordischen Völkern; es erstrekt sich sogar auf den Ruhm, der durch den Wiz erworben wird, und nach welchem auch mitten in diesem dürftigen Leben diese Wilden streben. Aber noch mächtiger ist die Habsucht. Der Ueberfluß macht hier den einzigen Unterschied aus, der einen Menschen über den andern erhebt. Die Wilden sind aber eher zu entschuldigen, als die gesitteten Völker: ihr Lebensunterhalt ist tausend Gefahren und Unglüksfällen unterworfen, und selbst ihr Ueberfluß besteht in bloßen Lebensmitteln, die alle Augenblike zur Nohtdurft werden können.
Der Mangel des geselschaftlichen Lebens mag die Ursache seyn, die diese Wilden gehindert hat, das Vieh zu zähmen. Die Natur bringt Rennthiere hervor, aber niemand weiß sie hier zum Gehorsam, und zur Freundschaft mit den Menschen zu gewöhnen. Die Menschen verlieren dadurch eine bessere und gewissere Nahrung, als diejenige, die von der See, und von den Winden abhängt.
Othar überzeugte sich endlich, daß in einem sehr öden Lande, wo überflüßiger Raum für die wenigen Menschen ist, wo die See allen offen steht, und allen den Unterhalt gewährt, wo weder Aker noch Wiesen, noch einiges Eigenthum ist, als dasjenige, das unter den Augen des Besizers bleibt; daß endlich in einem kalten Lande, wo alle Triebe, und auch der heftigste von allen, der Trieb zur Liebe, gemäßigter sind, die Menschen allerdings ohne Obrigkeit leben können; daß auch die gemeinschaftlichen Nohtwendigkeiten und Vortheile solche gleichgeltende Menschen in ein geselschaftliches Leben zusammen lenken können, und daß die Laster bey denselben nicht in größere Uebelthaten ausbrechen, als bey denen, die unter Fürsten und Gesezen stehn, weil die Triebe minder wirksam sind, und die einschränkenden Straffen minder nohtwendig machen.
Othars Schiffe waren wiederum zu den Gefahren der See ausgerüstet. Ein günstiger Nordost brachte den kühnen Seefahrer von der Südspize der gefrornen Küste herum. Die Erde bog sich nunmehr nach Süden, ein breiter Seebusen öfnete sich, ein mächtiger Fluß ergoß sich in vielen Mündungen in das Meer, und diente zu einem sichern Hafen. Der Nordländer fand diese Gegend, ob sie wohl nordlicher war, als die Küste der Wilden, dennoch mit gesitteten Menschen bewohnt. Die Biarmier hatten einen König und einen Gottesdienst, sie wohnten in warmen und bequemen Häusern, und fanden in der Fischerey, in der Jagd, in ihren zahlreichen Heerden, und in den Früchten der Erde, ihren zureichenden Unterhalt. Dieses Volk war den Finnen des Othars ähnlich. Othar erkante den Nuzen des geselschaftlichen Lebens; die nordische Kälte, die langen Winter, die zerstörenden
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