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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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Sie's« gesagt, ergriff er den Hammer und tippte probehalber ein paarmal an den Stein. Dann hämmerte er ernsthaft, Muskelkraft gegen Stein. Aber da jeder Schlag perfekt saß, erstarb das Geräusch zu unseren Füßen.
    Bis zu diesem Punkt war er so langsam vorangekommen, dass wir wohl beide erwarteten, der Stein werde genauso, quadratzentimeterweise, nachgeben. Doch das stille Werk von Jahrhunderten – von Wasser und Kälte, Hitze und Zeit – trug beim zehnten Schlag plötzlich Früchte. Der Stein zerbrach in eine Wolke aus Splittern … und war dann genauso schnell verschwunden. Wir starrten auf eine Wand aus reiner Schwärze.
    »Großer Gott«, murmelte ich.
    Ich sank auf die Knie, schob die Hand in die Höhle … und fühlte nur Luft. Ich legte mich flach auf den Boden und schob den Arm tiefer. Noch mehr Luft.
    Lange sah ich in dieses Loch hinab und wartete darauf, dass die Schwärze sich zu irgendetwas formte. Doch mir kam nur ein muffiger Luftstrom entgegen, als stünde ich über einen Brunnen gebeugt.
    »Sie müssen mich da runterlassen«, sagte ich.
    Seamus' buschige Augenbrauen fuhren nach oben.
    »Das fällt senkrecht ab«, sagte er.
    »Ich weiß.«
    »Sie sind dann nicht mehr zu sehen. So tief reicht das Licht nicht.«
    »Ich weiß. Ich wünschte, ich wüsste einen anderen Weg.«
    Er protestierte jetzt nur durch sein Schweigen. Und dem hatte ich nur noch eines entgegenzusetzen.
    »Unter uns«, sagte ich. »Ich glaube, ich bin derjenige, der weiß, wonach wir suchen müssen.«
    Natürlich wusste ich es eigentlich nicht. Aber Seamus ließ sich davon so weit überzeugen, dass er mir in meinen Gurt half und die Lampe an meinem Kopf befestigte. Dann bezog er Posten am Seil, gab mir noch ein paar Sekunden Bedenkzeit und rief dann:
    »Fertig?«
    Fertig.
    Nur brachte ich das Wort nicht heraus. Ich konnte nur nicken, und sogar das stellte mich auf eine härtere Probe, als ich es geahnt hätte.
    Allerdings nicht auf eine so harte wie der Einstieg, der sich als sehr verzwickt herausstellte. Der Hohlraum, den Seamus geschlagen hatte, war groß genug, mich aufzunehmen, aber alles andere als bequem. Unerkannte Hindernisse taten sich auf: Krümmungen und Vorsprünge, die mir in die Rippen, die Nieren und das Brustbein piekten. Der Stein schrammte mir die Knie auf und klemmte meine Hüften ein, und als ich gerade dachte, ich hätte die Engstelle hinter mir, schloss er sich so flink um mich, dass mir war, als steckte ich in der Kehle des Hauses fest.
    Zuletzt befreite mich die Schwerkraft, und als ich mich noch tiefer in die Dunkelheit vorarbeitete, verbreiterte der Kanal sich wie eine Speiseröhre. Ich schrammte jetzt nicht mehr mit dem Rücken am Stein entlang, meine Knie baumelten frei …
    Und dann landete ich mit unverzeihlicher Grobheit auf etwas Hartem, Sprödem, Beleidigtem. Keine Chance, es zu befühlen – ich konnte mich in der Enge nicht bücken –, und so hob ich den rechten Fuß und lauschte beim Wiederabsetzen auf das Echo. Und tat es zur Sicherheit noch einmal.
    Holz .
    Ich stand auf einer Holzkiste.
     
    Wieviel Zeit zwischen diesem Moment und der Ankunft von Seamus' Stimme verging, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich brauchte schon eine Weile, bis ich verstand, was er rief.
    » Sind Sie okay?«
    Ich wollte gerade antworten, wurde aber von einem lauten, dumpfen Pochen abgelenkt. Es war mein Herzschlag, begriff ich bald, der durch den engen Schacht so verstärkt wurde, dass es wie Hämmern klang.
    »Okay«, rief ich zurück.
    Und dann fiel es mir ein: Ich hatte ja eine Lampe auf dem Kopf!
    Ich senkte den Kopf, und das Licht spritzte um meine Füße, schob die Dunkelheit fort und erhellte … nichts.
    Bis schließlich aus der Dunkelheit etwas Längliches aus Holz herausschälte, knotig, aus Eiche, das unter meinem Gewicht leise splitterte. Und tief darin verborgen eine Leinentasche, die sich um etwas beulte, das ich weder greifen noch sehen konnte.
    Im Nachhinein ist mir klar, dass ich wieder nach oben hätte gehen sollen. Seamus berichten sollen, was ich entdeckt hatte, und einen Plan ausarbeiten, wie wir die Kiste ans Licht holen konnten. Aber ich wollte wissen, was darin war, und konnte es nicht in Erfahrung bringen, und das zusammen war so bitter und betäubend, dass ich meinen Posten nicht verlassen konnte. Und daher bückte ich mich und zappelte und tat, was ich nur konnte, nur um zu erfahren, worauf ich da eigentlich stand.
    Auf den Gedanken, dass Altersschwäche und Verfall, die dem Äußeren des

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