Algebra der Nacht
goldenen Ring hervor.
»Du hast Wunder bewirkt, Margaret!«
Da muss sie einfach lachen. Aber als er ihr den Ring hinhält, begreift sie, dass es mehr ist als ein Scherz.
»Hab keine Angst«, beruhigt er sie. »Es ist kein Verlobungsring. Du darfst ihn tragen, wo immer du möchtest. Und wenn du ihn dir unters Kopfkissen legst, kränkt mich das auch nicht.«
Sie steckt ihn sich schließlich auf den fünften Finger der linken Hand. Dort behindert er sie am wenigsten, denkt sie. Sie sprechen nicht weiter über das Thema, aber am nächsten Morgen findet sie im Licht, das durch ihr Fenster fällt, einen Sinnspruch im inneren Ringkreis.
Ex nihilo nihil fit.
Von nichts kommt nichts.
Noch unbewandert in den Atomisten, kann sie nicht wissen, dass das Parmenides' Worte sind. Und dass Parmenides sich gegen die Lehre der creatio ex nihilo , der Schöpfung aus dem Nichts, gestellt hat. Den Griechen zufolge kann die Welt nicht aus einer
Leere geschaffen worden sein, denn in irgendeiner Form hat die Welt schon immer existiert und wird für immer existieren. Der Mensch ist sterblich, die Materie ewig.
Von alldem weiß Margaret nichts. Sie fühlt zunächst nur die Verneinung, die in diesen Worten liegt. Von nichts kommt nichts.
Zuletzt ist es ihr Glaube an Harriot – und sein Glaube an sie –, der sie zu einer anderen Auslegung führt. Nichts kann erreicht werden, wenn nichts ausgeschöpft wird. Und das heißt: alles wimmelt von Möglichkeiten.
Eines Tages, denkt sie, gebe ich ihm auch einen Ring. Aus meinem eigenen Gold.
Sie schiebt sich den Ring auf den Finger und macht sich an die Arbeit.
Auf Blei folgt Zink. Dann Zinn. Kein Stoff ist jemals größeren Prüfungen unterzogen worden. Einer nach dem anderen lodern sie auf wie christliche Märtyrer. Und Margaret steht davor, verfolgt minutiös ihre Qual, verzeichnet jede Marter von Farbe und Form …
Und die allergrößte Pein: am Ende nichts zu haben als verkohlte, tropfende Klumpen, die alle Hoffnungen zunichtemachen.
Sie ist sich nicht zu stolz, Harriot zu bekennen, dass sie vor einem Rätsel steht.
»Ist Pneuma nicht ausschließlich aus Atomen zusammengesetzt? Wie alle lebende Materie? Wie kann es sein, dass diese Atome sich nicht umgestalten lassen? Wasser wird doch auch zu Eis. Feuer wird zu Asche. Wie kann es sein, dass Blei sich einer Verwandlung widersetzt?«
Harriot schüttelt den Kopf.
»Es gibt keinen irdischen Grund.«
Erst als sie seinen Worten später nachsinnt, hört sie den Ton, den er beiläufig auf irdisch gelegt hat. Sie hat sich Hals über Kopf in die Arbeit gestürzt, aber in stilleren Momenten versteht sie durchaus, warum es einen frommen Mann wie König Jakob vor der Alchemie besonders graust, verwischt sie doch den Unter
schied zwischen Schöpfer und Schöpfung und droht, den Menschen zum Urheber des Universums zu machen.
Und dann, eines Nachmittags, sie erhitzt gerade Kupfer, geschieht etwas Außerordentliches. Es zieht sich erst zu dem störrischen schwarzen Klumpen zusammen, den sie kennt, und bringt dann aus sich grelle Farben hervor.
Und was für welche! Silber, violett, blau, grün …
Margaret stockt der Atem. Wie ein Pfauenschwanz .
Genau die Wirkung, die sie seit Wochen angestrebt hat. Ein Anscheinsbeweis, möchte man meinen, dass ein Element verwandelt und vervollkommnet worden ist.
Und das geschieht hier. Jetzt. Vor ihren ungläubigen Augen geht das Grün in ein elektrisches Gelb über, in ein strahlendes Orange. Und zuletzt explodiert das Orange und wird zu Rot.
Kein bloßes Aufblitzen dieses Mal, sondern ein imposantes Durchschreiten des vollen Rotspektrums, von Rosig zu Rubin und Karmin und schließlich zu einem Scharlach von außerordentlicher Resonanz, zu einem Scharlach, das jeder römische Priester mit Stolz getragen hätte.
Margaret merkt nicht, wie laut ihr Ächzer war, doch schon im nächsten Moment reißt Harriot den Vorhang auf und erblickt den letzten sterbenden Widerschein des Rots. Die Farbe der Vollendung, und sie hat sie geschaffen.
Und wie fern von ihm sie sich gerade fühlt. Was er auch sagt, wie sehr er sich auch in sie einfühlen will: dieses Rot gehört ihr. Und wird für immer ihr gehören.
Linkisch sind sie im Beisein des anderen geworden. Ahnen die Regungen des anderen nicht mehr voraus, stoßen ständig zusammen oder aber halten inne, kurz bevor es geschieht, und blicken einander ratlos an.
Gelöst sind sie nur im Bett, und sogar hier ist sie nicht ganz und gar sein. Nicht so, wie
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