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Algebra der Nacht

Algebra der Nacht

Titel: Algebra der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Bayard
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uns aufstöbern würde. Aber dann entfernten sich ihre Rufe, und ich sah vor meinem geistigen Auge, wie sie magnetisch angezogen den Weg zu ihrem Autos fand, in dem ihr sie liebender Gatte schlummernd wartete.
    Nach einer Weile hörten wir nur noch die Musiker, die einander gute Nacht wünschten, die Fahrzeuge des Cateringservice, die beladen wurden, und schließlich das Knacken der Walkie-Talkies der Sicherheitsleute. Und dann nur noch die Nachtigallen.
    Bis mein Handy loslegte.
    »Geh nicht ran«, zischte Alonzo.
    Aber der Instinkt war stärker als die Vorsicht. Schon hielt ich es mir ans Ohr.
    »Mr. Cavendish?«
    »Ja.«
    »Hier spricht Detective Acree vom MPD .«
    Ich war so weit weg, dass dieser Name mir auf Anhieb gar nichts sagte. Erst langsam kam ich darauf. Metropolitan Police Department. Washington, D.C. Der Ort, an dem ich wohne …
    »Hallo«, sagte ich schwach.
    »Haben Sie einen Augenblick, Mr. Cavendish?«
    Tja, wollen mal überlegen, Detective, ich bin im Begriff, einen Turm zu besteigen. Um dort nach einem vergrabenen Schatz zu suchen. Noch ehe die Nacht herum ist, könnte die Frau, die ich liebe, tot sein, und ich womöglich ebenfalls. Und ein bereits Verstorbener könnte ein zweites Mal sterben.
    Oder aber wir alle werden Milliardäre.
    Kriminelle sind wir mit Sicherheit.
    »Aber nur einen kurzen«, sagte ich.
    »Habe ich Sie im Bett erwischt?«
    »Nein.«
    »Sie klingen leise.«
    »Das wird wohl die Verbindung sein. Wenn Sie es unbedingt wissen müssen, ich bin in Übersee.«
    »Das wusste ich nicht, Mr. Cavendish.«
    »Ich habe es Ihnen nicht gesagt.«
    Falls ich ihn mit meiner Dreistigkeit überraschte, ließ er es sich nicht anmerken.
    »Ich dachte, das könnte Sie vielleicht interessieren«, sagte er. »Wir untersuchen Miss Pentzlers Tod, und da gibt es etwas, was ich Ihnen gern zeigen würde.«
    »Ja?«
    »Aber wenn Sie im Ausland sind …«
    »Vielleicht sagen Sie mir, worum es sich handelt.«
    Eine sehr lange Pause entstand.
    »Ich kann Ihnen versichern«, sagte ich, »ich bin nicht auf der Flucht.«
    Es war wohl schwer für ihn, seine Angewohnheit, mich als Verdächtigen zu betrachten, abzulegen, daher habe ich keine Erklärung dafür, warum er mich letzten Endes doch ins Vertrauen zog. Oder warum mein Gehirn, als ich gehört hatte, was er mir mitteilen wollte, sich so lange gegen die Folgerungen sträubte, die sich daraus ergaben.
    »Mr. Cavendish?«
    »Ich melde mich bei Ihnen, sobald ich wieder in DC bin. Ist das in Ordnung?«
    »Wann wird das sein?«
    »Ich habe nur … noch einige Stunden geschäftlich hier zu tun, also wohl … Montag oder Dienstag. Ist das für Sie in Ordnung?«
    »Wird es ja wohl müssen, Mr. Cavendish.«
    Ich nahm das Telefon ein Stück weg, hielt es mir aber gleich wieder ans Ohr.
    »Detective? Sind Sie noch dran?«
    Ein Moment der Schwäche, ich gebe es zu. Ein Blick von Alonzo genügte, dann war er vorüber. Denn dieser Blick sagte, was ich bereits wusste. Der richtige Augenblick, um zu sprechen, war am Strand in den Outer Banks gewesen, als ich Amory Swales Arm aus dem Sand hatte ragen sehen. Wir waren zu weit gegangen, um jetzt zurückzugehen.
    Detective Acrees Stimme summte in mein Ohr: »Mr. Cavendish?«
    »Entschuldigung, ich wollte mich nur bedanken. Für Ihren Anruf.«
    »Ich tu nur meine Arbeit, Mr. Cavendish.«
    »Natürlich.«
    »Viel Glück bei Ihren Geschäften.«
    »Danke.«
    Ich hielt das Telefon in der Hand. Dann steckte ich es wieder in die Hosentasche.
    Der Regen hatte aufgehört. Eine Mondsichel hatte sich durch die Wolken geschoben.
    »Es ist Zeit«, sagte Alonzo.

 

    41
    E rhaltene Dokumente gibt es nur wenige, deswegen können wir nicht mit Gewissheit sagen, warum der ursprüngliche Besitzer von Syon House, der Duke of Somerset, an jeder Ecke seines vierseitigen Hauses einen fünfzig Fuß hohen Turm errichten ließ. Vielleicht wollte er nur einen hübscheren Ausblick auf den Fluss? Seine Feinde zogen es vor, die Türme für Befestigungen zu halten, für eine Bekundung aggressiver Absichten, und Somerset wurde schließlich für seine Eskapaden hingerichtet.
    Aus welchem Grund auch immer: die Türme blieben stehen. Und man kann guten Gewissens wohl behaupten, dass nicht einmal Somerset sich einen Angreifer wie Seamus hatte vorstellen können, der nicht mit Arkebusen und Langbogen und Belagerungsmaschinen gegen den Nordturm vorrückte, sondern mit einem Sack voller Equipment: Trittleitern und Materialschlingen, Haken und Klemmkeilen,

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